Dienstag, 2. Februar 2010

566 "Die verplombte Demokratie": Befund einer Universitätsstudie in Sachen rechtsextremistisches Reservoir und Potential.





Von Alexander Dahl

Wo Wohlstand

bröckelt, wächst

der Extremismus



Berlin.

Seit Jahren werben die demokratischen Parteien der Bundesrepublik um die „Mitte" der Gesellschaft. Dort, so lässt der Begriff vermuten, versammeln sich die Leistungsträger und Bewahrer der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Mitunter ist diese Mitte aber nur eine dünne Fassade, die den Blick auf tiefsitzende rechtsextreme Auffassungen verstellt. Dies ist zumindest das Ergebnis der Studie „Ein Blick in die Mitte" der Leipziger Universität im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Ausländerfeindlichkeit wird danach zunehmend freimütig geäußert, Migranten, in erster Linie Türken und Russlanddeutsche, werden von vielen ablehnend gesehen, und die Demokratie ist eine Staatsform, die nicht um ihrer selbst willen akzeptiert wird, sondern nur dann, wenn sie materiellen Wohlstand garantiert. Oliver Decker, einer der Autoren, der Studie, hat den Begriff der „narzistischen Plombe“ geprägt. „Immer dann, wenn der Wohlstand als Plombe bröckelt, steigen aus dem Hohlraum wieder antidemokratische Traditionen auf." Derartige Ressentiments würden mit besorgniserregender Selbstverständlichkeit geäußert auch bei Personen,; die in einem ersten Fragebogen nicht durch rechtsextreme Äußerungen aufgefallen waren, erklärte gestern Katharina Rothe, eine Mitautorin der Studie. Schon im Jahr 2006 hätte die Leipziger Hochschule unter dem Titel „Vom Rand in die Mitte" bundesweit etwa 5000 Bürger befragt und autoritäre Denkstrukturen sowie eine Geringschätzung des demokratischen Systems aufgedeckt. Das erschreckende Ergebnis damals: Rund die Hälfte aller Westdeutschen und sogar drei Viertel aller Ostdeutschen stellten das politische System der Bundesrepublik infrage. Aussagen, dass eine starke Partei nötig sei, die die Volksgemeinschaft verkörpere, und ein Führer benötigt würde, der mit harter Hand regiere, fanden bei 30 bis 40 Prozent der Befragten ganz oder teilweise Zustimmung. Auch provokative Aussagen über in Deutschland lebende Ausländer und Juden fanden relativ hohe Zustimmungswerte.

Für ihre aktuelle Untersuchung haben die Leipziger Forscher nochmals 60 Bürger in zwölf verschiedenen Orten Deutschlands, die 2006 nur einen Fragebogen ausgefüllt hatten, zu kleinen Diskussionsrunden eingeladen. Dort zeigte sich, dass im Gespräch doch Zustimmung zu rechtsextremen Positionen geäußert wurde, die im Fragebogen nicht auftauchte. So wird etwa zwischen guten Ausländern unterschieden, die Leistungsträger sind, und anderen, die sich als „Schmarotzer" gebärden, worunter etwa Russlanddeutsche eingeordnet werden. Erziehung durch Prügel verhindert nach dieser Weltsicht, dass jemand im Leben straffällig wird. Ohnmachtsgefühle äußerten sich in Verschwörungstheorien, wonach die graue Masse der Welt von ein paar Menschen geleitet wird. Und Demokratie reduziert sich aufs Wahlrecht, mit dem kein echter Einfluss auf die Politik möglich sei. Die Autoren der Studie fordern daher, den Bürgern mehr Mitwirkungsmöglichkeiten als nur das Wahlrecht in der Politik einzuräumen und die Aufklärungsarbeit über die Stärke der parlamentarischen Republik zu verbessern, um Demokratieverdrossenheit zu verringern. Au­ßerdem sollten Menschen mehr Einfluss in Betrieben und in Schulen erhalten, um Demokratie aktiver erleben zu können.

Die Folgestudie ist in ihrer Wirkung allerdings nicht mehr so wuchtig wie die Premiere 2006. Dies liegt auch daran, dass die Zahl der Gesprächspartner mit 60 ungewöhnlich klein ist. Außerdem ist die regionale Auswahl der Gesprächsorte nicht überzeugend. Fünf von zwölf Diskussionsrunden fanden in Berlin und Dresden statt; die beiden größten Bundesländer Bayern und Niedersachsen kommen in der neuen Untersuchung überhaupt nicht vor.

Und manch ein Gesprächsort führt fast zwangsläufig zu einem bestimmten Ergebnis. So verwundert es nicht besonders, dass die Debatte in der Humboldt-Universität in Berlin-Mitte die Diskutanten als gute Demokraten ausweist, während die Redner im einige Kilometer entfernten, verarmten Stadtteil Bohnsdorf „die Wiederkehr des Nationalsozialismus buchstäblich herbeiphantasiert" haben, wie in der Studie zu lesen ist. (HAZ 142/08)


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