Montag, 25. April 2011

1163 "GLAUBEN & ZWEIFELN": Ist Gott Amerikaner?

Diese hier am Ostermontag gestellte Frage bezieht sich auf einen in der Ausgabe 9/11 von dem Journalisten Josef Joffe auf Englisch verfassten, in der Wochenzeitung DIE ZEIT veröffentlichten und dort im Titel als Feststellung formulierten Essay - übersetzt von einer Heide Sommer. Apropos Übersetzung: Das in der katholischen Kirche oft gehörte "Dominus vobiscum!" hat der Blogger für seinen Privatgebrauch abgewandelt. In: "Dominus, wo bist du?" Und auf eben diese Frage erhält er jetzt die Antwort: In Amerika. Was ihm allerdings insbesondere insofern fraglich erscheinen will, als dort in Guantanamo massiv gegen sämtliche Menschenrechte verstoßen wird, wie soeben in den Nachrichten vernommen - und er von daher glaubt unterstellen zu können, dass Gott, sollte er sich bis dato als Amerikaner geoutet haben, es wohl vorzöge, einen Rollenwechsel vorzunehmen. Das Essay trägt den Titel: "The God Gap: Why Europe Loses the Faith and America Keeps Praying" und wurde in The American Interest veröffentlicht.

Einleitend greift Joffe einen Befund auf, zu dem Alexis de Tocqueville vor fast 200 Jahren in seinem Buch "Über die Demokratie in Amerika gelangt ist: "In Frankreich hatte ich den Geist der Religion und den Geist der Freiheit in gegensätzliche Richtungen marschieren sehen. In Amerika aber fand ich sie aufs innigste vereint, und sie regieren gemeinsam über ein und dasselbe Land." Dass sich in Europa die Verhältnisse anders darstellen, liegt nach Darstellung Joffe's - vorwegnehmend sei dies gesagt, an der besonders für die Kirche sich äußerst unglücklich darstellenden Liaison mit dem Staat, die als Frucht eine heftige Ablehnung gegen eben diese Verbindung gebiert.

In seinem Essay trägt Joffe eine Reihe von Zahlen zusammen, die belegen sollen, wie sehr sich die Amerikaner hinsichtlich ihrer religiösen Einstellung von den Europäern unterscheiden:

  • Für 59 % der Amerikaner soll demnach Religion sehr wichtig sein - aber nur für 27 % der Menschen in Italien ("immerhin die Heimat der Una Sancta). In Deutschland gelte dies für nur 27 % - in Frankreich für gerade einmal 11 %;
  • Dass es einen Gott gibt, daran sollen in Nordamerika 62 % der Befragten glauben - in Westeuropa dagegen nur 35 %;
  • Wenigstens ein Mal in der Woche in der Kirche/Synagoge wollen in den USA 44 % gewesen sein - in den nordeuropäischen Staaten sowie Island, Lettland und Estland dagegen nur 4 bis 5 %. Tschechien, Litauen, Rumänien und die Schweiz folgen mit 16 bis 20 %. Spanien, einst Land der Inquisition, schafft 25 %. Auf dieser Frömmigkeitsskala lägen nur drei europäische Länder vor den Vereinigten Staaten: Portugal mit 47, Polen mit 55 und Irland mit 84 Prozent.
  • Als wichtigsten Indikator für die von ihm als "Gotteslücke" bezeichnete kontinuierliche Entchristianisierung, die in Europa stattfindet, nimmt Joffe eine moralphilosophische Frage. Nämlich die: "Muss man an Gott glauben, um ein moralischer Mensch zu sein?" Über die Hälfte der Amerikaner, so Joffe, sagten darauf: Ja. Jenseits des Atlantiks sinke dieser Anteil auf 33 % in Deutschland, 27 in Italien und 13 in Frankreich. Unter diesem Aspekt gelangt Joffe zu folgendem Resummee: "Glaubt man also, Religion habe nichts mit Moral zu tun, dann ist Gott in Europa wirklich tot."
In diesem Zusammenhang verdient die von Joffe an ganz anderer Stelle gebrachte Tatsache Erwähnung, dass sich dieser fehlende Gottesglaube auch in den Satzungen niederschlägt, die man sich in Europa gegeben hat: "Obwohl gerade in Europa eine christliche Kultur mit Tausenden von Kirchen gewachsen ist und es in Musik und Kunst von religiösen Motiven nur so wimmelt, enthält der Vertrag von Lissabon, sozusagen die europäische Verfassung, keinerlei Gottesbezug."

Der Autor führt diesen stärkeren Gottesbezug in erster Linie darauf zurück, dass den Menschen in den Vereinigten Staaten gegenüber den in Europa lebenden schon seit der Staatsgründung mehr Freiheiten gerade auch in religiösen Belangen gewährt worden ist. Während in Europa das Prinzip cuius regio eius religio gegolten habe, welches von Kirche und Staat zur Sicherung ihres Einflussbereichs und eigener Pfründe und Privilegien verfolgt und von ersterer das Gottesgnadentum beschworen worden sei, habe es in Amerika den Menschen immer freigestanden, sich hinsichtlich ihrer religiösen Anschauungen so einzurichten, wie sie es für richtig hielten und auch weiterhin halten - Glaube und Freiheit hätten sich so in einer Wechselbeziehung gegenseitg gestärkt: "Wo der Glaube der Freund der Freiheit war, brauchten deren Verfechter den Glauben nicht als Feind der Aufklärung zu bekämpfen."

Während in Europa von der katholischen Kirche Autorität und Gehorsam gepredigt wurden, das Christentum mit aller ihm zur Verfügung stehenden Macht die Freiheit bekämpfte, und es hier gefährlich war, zum falschen Gott zu beten - wobei, so, Joffe, das ursprünglich revolutionäre Luthertum auch bald zur Staatsreligion mutierte -, gab es in den USA einen freien Markt der Religionen, auf dem Monopole nicht geduldet wurden: "God's own country", das von Gott geliebte Land, gehörte stets vielen Göttern." Etablierte Kirchen, so Joffe, seien von vornherein absolut tabu gewesen, wie man im ersten Zusatzartikel zur Verfassung nachlesen könne: "Der Kongress soll keine wie auch immer gearteten Gesetze über Religion verabschieden, weder dafür noch dagegen."

Würde Tocqueville die gegenwärtige Kirchenkrise erleben, so Joffe, würde er sich in seiner Anschauung bestätigt sehen: "Amerika und Europa haben zwar beiden den gleichen Pfad in die Moderne eingeschlagen - bestimmt von Industrialisierung, Urbanisierung, Konsumismus und Demokratisierung. Dennoch sind die Vereinigten Staaten eine Bastion des Glaubens geblieben, wohingegen Europa sich seit Jahrzehnten 'entchristianisiert'." Davor aber ist es nicht anders gewesen, hat doch Europa den gemeinsamen Nenner der "Zivilreligionen" gefunden. Als da sind Liberalismus, Sozialismus und Kommunismus. Das antiklerikale Moment kam in Deutschland vor allem im Faschismus zum Tragen.

Während in Europa die "offizielle Pfarrkirche" als Modell dagestanden habe, sei es in den USA zu einer "do-it-yourself-Frömmigkeit" gekommen: "Wenn jemand ein religiöses Start-up auf den Markt bringt, dann wird das Angebot seine eigene Nachfrage erzeugen. Lesbische Rabinerinnen? Warum nicht? Zu viel Jesus? Gehen Sie doch zu den Unitariern! Ist Ihre Gemeinde zu klein für Ihren Geschmack? Treten Sie einer Mega-Kirche bei!"

Joffe gelangt zu folgendem Resummee: "Heute ist Religion in Amerika ein Wettbewerbsunternehmen auf einem leicht zugänglichen Markt. Wie einst die Quäker nach Pennsylvanien zogen und die Katholiken nach Maryland, so kann heute noch jeder mit ein paar anderen eine eigene Gemeinde gründen." Damit aber ist man bei den negativen Aspekten angelangt, die sich von dem Befreiungstheologen Ernesto Cardenal in dem folgenden Eintrag angesprochen finden:

Dienstag, 19. April 2011


1149 Interview: "Der Politiker, Priester und Dichter Ernesto Cardenal über seine Heimat Nicaragua ... und die Hoffnung auf die Armen der Welt."

PS: Zur Gänze heranziehbar ist dieser hier nur mit seinen Hauptaspekten referierte ganzseitige Artikel aus dem Print-Archiv von www.zeit.de. Der unmittelbare Zugriff auf dieses Archiv ist jetzt auch über den folgenden Eintrag möglich: 1165

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