Mittwoch, 13. April 2011

1143 Interview: Befreiungstheologe Leonardo Boff zu der Frage a) wie groß der Einfluss der Pfingstkirchen ist, und b) was ein Theologe in der Politik erreichen kann.

In dem Interview, geführt von dem für die in Richtung Ökumene arbeitende Zeitschrift Publik-Forum schreibenden Journalisten Thomas Seiterich, grenzt Boff sich einleitend von den akademischen Theologen ab, die am Schreibtisch blieben oder aber in Hörsälen aufträten. In dem in der Ausgabe 21/10 veröffentlichten Gespräch weist er darauf hin, er betätige sich als Politik- und Medienberater - und zwar insbesondere in Brasilien.

Dort verband ihn ein freundschaftliches Verhältnis mit dem Präsidenten Lula, obwohl dieser das auch in diesem Land "herrschende kapitalistische Makrosystem" unangetastet ließ, dem er selbst als "Gesamtsystem der Ausbeutung" den Kampf angesagt hat. Weil es Reichtum anhäuft, indem die Ressourcen der Natur erschöpft und nicht nur die Erde, sondern dabei auch die Menschen arm gemacht werden. Allerdings, so Boff, habe Lula die sozialen Probleme bestens verstanden und durch seine Politik sogar sehr wichtige Verbesserungen für die Armen erzielen.

So beispielsweise durch "Projekte wie das 'Null-Hunger-Programm' oder die Hilfen für kleine Familienbauernhöfe". Auch hätten die Armen vor Lula keinen Zugang zu einer Bank gehabt, wohingegen heute jeder seine Bankcard erhalte und über mehr oder weniger Geld verfügen könne: "Auf diese Weise hat Lula über vierzig Millionen Menschen, die völlig ausgegrenzt gelebt hatten, ins System eingegliedert. Aus Habenichtsen wurden Konsumenten, natürlich nicht für den Luxuskonsum."

In diese unselige Tradition sieht er auch die Pfingstkirchen vorrangig gestellt - Zitat: "Die Theologie der Pflingstler fördert die Entfremdung im Sinne der Marxschen Religionskritik. Die Prediger arbeiten zwar mit Geschichten aus der Bibel. Doch mit den revolutionären Texten, etwa dem Lobpreis der Armen, wissen sie nichts anzufangen. Sie predigen eine Religion des Wohlstands.
Wer am meisten spendet, wird reich. Das ist eine unsäglich dumme Lehre. Weil die Neukirchen stets auch reiche Firmen sind, sind sie rund um die Uhr im TV präsent. So kann man mit Gott nicht umgehen. Insofern beleidigen diese Prediger das Zweite Gebot, den Namen Gottes nicht willkürlich zu benutzen. Mein Urteil fällt also ambivalent aus."

Diese Ambivalenz ergibt sich für Leonardo Boff daraus, dass diese von ihm auch als "Neukirchen" bezeichneten gesellschaftlichen Gruppierungen auch durchaus positive Züge tragen. Indem sie sich nämlich als Sammelstätte für "die Verlierer, die am Rande der Gesellschaft Lebenden, die Besiegten" anbieten - es dabei verstehend, den Menschen ein Bewusstsein von Würde zu vermitteln. "Sie hören: Wir haben einen Wert vor Gott! Er hört uns, selbst wenn die anderen uns nicht hören. Die erste Botschaft ist die einer von Gott geschenkten Würde. Das finde ich gut."

Zudem noch positiv für die Pfingstler verbucht der Befreiungstheologe, dass sie über die Einschärfung von Normen und mittels sozialer Kontrolle im Endeffekt auch eine "Humanisierung der Person" erreichen. Beispielsweise durch das Verbot, den Partner zu schlagen oder den Lohn zu versaufen. Dazu auch zählend etwa das Tanzverbot oder aber das Fernsehverbot. Bezüglich des Fernsehens verweist Boff darauf, dass es unter der Militärdiktatur nur der Verschleierung gedient habe - wohingegen heutzutage gelte: "Wer Erfolg haben will auf dem Markt der TV-Unterhaltung, muss die sozialen Probleme behandeln."

Mit der Fernsehunterhaltung aber spricht der Befreiungstheologe sein zweites Haupttätigkeitsfeld an. In einer Situation, in der in Brasilien zwischen 18 und 22 Uhr jede Stunde eine andere Telenovela gezeigt werde, käme es sehr darauf an, Folgendes in den Blick zu nehmen: "Leider fehlt in Brasilien so etwas wie eine Volkspädagogik, die vermittelt, dass der Konsum für das Leben da ist und dass es nicht um einen Konsumismus als Ersatz für Lebenssinn gehen kann.
Von daher habe er sich gehalten gesehen, an die Fernsehmacher heranzutreten mit dem Plan, die sozialen Probleme des Landes aufzugreifen und sie zumindest in die eine oder andere Telenovela so einzubauen, dass beispielsweise die Probleme der Landlosen gut rübergebracht werden.

Als beispielhaft für eine in dem bezeichneten Sinne gelungene TV-Produktion sieht Boff die Telenovela O Rei de Gado (Der Viehkönig) an. Andere Fernsehmacher habe er beraten im Blick auf die bestehende Sklaverei auf dem Lande oder die Unmenschlichkeiten in den moderne Zuckerrohr- und Sojaplantagen für den Export-Agrarsprit. "Die Telenovela zeigte die Probleme in aller Breite. Bei vielen Zuschauern wuchs die Empörung über die Verhältnisse dort. Insofern wirkt manche Serie durchaus erzieherisch."
PS: In dem Abschlusskasten auch auszumachen: Der Blogger, der, nachdem er sich durch Zeitungs- und Zeitschriftenlektüre schlau gemacht hat, etwas ins Netz herausgibt, das a) mit der Vision zu tun hat, dass die blöde Kiste doch noch zum Fliegen gebracht werden kann, und mit dem b) zumindest etwas klügere Köpfe etwas anfangen können.


Keine Kommentare: