Dienstag, 19. April 2011

1149 Interview: "Der Politiker, Priester und Dichter Ernesto Cardenal über seine Heimat Nicaragua und die Hoffnung auf die Armen der Welt."



Das in der FAS 14/11 veröffentlichte, von dem Jounalisten Nabuel Lopez geführte Interview fand statt in Ahaus, einer Kleinstadt an der niederländischen Landesgrenze. Einleitend wird der Interviewte vorgestellt als Galionsfigur der Revolutionsbewegung in Nicaragua und einer der bedeutendsten Schriftsteller des Kontinents und zitiert mit den Worten: "Revolution ist eine schöne Sache".

Hinsichtlich Nordafrika, wo sich gegenwärtig ja eine Revolution vollzieht, gibt sich Cardenal in dem Interview optimistisch gestimmt. Selbst wenn der Aufstand in Libyen jetzt niedergeschlagen würde, bliebe die Unzufriedenheit. Und die würde sich über kurz oder lang erneut Luft machen. Kein Machthaber könne sich, so seine Einschätzung, auf Dauer gegen sein eigenes Volk stellen. Revolutionen hätten gemein, dass sie überraschend kämen: dann, wenn man sie am wenigsten erwarte, brächen sie aus dem Volk heraus los. So sei es in Kuba gewesen, aber auch in China und in Nicaragua. Und jetzt halt in arabischen Raum. Auffallend an letzterer Erhebung sei, dass sie, völlig spontan entstanden, gänzlich ohne Führer ausgekommen sei. Stattdessen sei das Internet eine der tragenden Säulen dieses Umschwungs gewesen.

Was die Revolution in Nicaragua anbelangt, die vor 1980 stattfand - Cardenal spricht davon, dass die FSLN, die sandinistische Befreiungsfront, 1990 die Wahlen hauptsächlich aufgrund des Einflusses verlor, den die Amerikaner in seiner Heimat ausübten, davor seien sie mehr als 10 Jahre an der Macht gewesen -, so gelangt der zu der Zeit als Kulturminister agierende Interviewpartner zu einem gemischten Urteil: Auf der einen Seite stünden die Erfolge, die durch die Agrarreform und durch die Alphabetisierungskampagne hätten erzielt werden können - vor letzterer hätten achtzig Prozent der Bevölkerung nicht lesen und schreiben können -, auf der anderen aber Degenerationserscheinungen, die dazu geführt hätten, dass unter der Führerschaft von Daniel Ortega ein "Haufen korrupter Machthaber und Krimineller" geworden sei, der "nichts anderes als eine Diktatur" im Sinn habe.

Von letzterer Entwicklung her versteht sich auch der Titel des Buches, aus dem heraus er den Besuchern der Veranstaltung in Ahaus einige Passagen zu Gehör hat bringen können: "Die verlorene Revolution" - verloren in einem Land, welches gleich nach Haiti das ärmste Land ganz Lateinamerikas gewesen war. Unter Mitwirkung der Amerikaner sei eine riesige Korruption entstanden, bei der sich jeder die Taschen habe vollmachen wollen. "Die nennen sich zwar noch Sandinisten, doch es gibt in dieser Regierung keine Revolutionäre mehr. Das sind kriminelle Machthaber, die auf Kosten der Bevölkerung leben."

Auf Kuba und Venezuela angesprochen, ist Cardenal, folgt man dem Interview, irgendwie optimistischer. Kuba habe sich vor allem wegen des von den USA betriebenen Wirtschaftsembargos das System so aufstellen müssen, wie es sich heute darstellt: hätte der Westen eine andere Politik verfolgt, wäre Kuba heute ein freieres Land. Hugo Chavez sei ein hochgebildeter Mann mit viel Witz und Talent: die kapitalistischen Medien hätten aber sein Bild verfälscht und ihn zum Clown gemacht. "Er hat in Lateinamerika Allianzen geschaffen, die sich gegen die Übemacht des kapitalistischen Westens stemmen. Er hat die großen Ölkonzerne verstaatlicht zum Wohle des Volkes. Und er hat eine Gesundheitsreform durchgeführt. Er ist ein Präsident des Volkes und ein Vertreter der Armen."

Zum Ende des Interviews hin kommt Cardenal auf die Befreiungstheologie zu sprechen. "Mit ihr geschah das Gleiche, wie mit der Revolution selbst. Diese Form der Theologie wurde niedergedrückt durch die Repression des Vatikans. Die Idee der Befreiungstheologie lebt aber noch immer in revolutionären Zirkeln weiter, als Theologie des Pluralismus der Religion. Diese Theologie besteht in der Annahme, dass alle Armen der Welt einen Glauben an Gott besitzen, jedoch keine einheitliche Religion. Damit sich aber alle Armen der Welt vereinigen können, bedarf es einer religiösen Vereinigung. ... Der Pluralismus besagt ..., dass alle Religionen gleich sind. Dass alle Religionen wahr sind, aber auch, dass alle Religionen unwahr sind, weil jede Religion ihre Fehler hat. Hier rücken alle Religionen zusammen, um ihre Kräfte für die Armen dieser Welt zu bündeln."

PS: Seit 1775 steht die von der Firma Breguet produzierte Uhr, die nachstehend erscheint, auf 8 Minuten nach 10 - so etwas wie das immer Gleichbleibende eines Systems signalisierend. Es steht zu hoffen, dass es über kurz oder lang denn doch zu Veränderungen kommt, die das starre Gefüge aufzubrechen in der Lage sind, welches sich aus dem monomanen, ausschließlichen Verfolg des Verdienstinteresses heraus ergibt.



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