Dienstag, 30. März 2010

665 Evo Morales, der bolivianische Staatspräsident, begeht nicht den Fehler, bei der Verstaatlichung der Öldindustrie die USA auszuschalten. Dies berichtete mir meine Holde aus einer gestern von ihr bei ihren Bastelarbeiten für eine Oster-Aktion des örtlichen DRK verfolgten Radiosendung über ein von dem Schweizer Soziologen Jean Ziegler verfasstes Buch.

Was auch mich wieder in der Ansicht bestärkte, dass man das Fernsehen auch ganz gut links liegen lassen kann. In diesem Buch führt er u.a. aus, wie der genannte Politiker bei seinem Projekt der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage für sein Land vorgegangen ist. Mit dem Erfolg, dass jetzt nicht mehr, wie zuvor, 95 % der Öleinnahmen in die USA fließen und Bolivien nur die restlichen 5 % verbleiben, sondern diese südamerikanische Staat 82 % für sich behalten kann, während die Amerikaner nur noch 18 % vereinnahmen.

Diese 18 Prozent sind, von den Norwegern für Morales so ermittelt, der kritische Wert, der den mit den Förderkapazitäten ausgerüsteten Landesfremden zugestanden werden muss, sollen sie denn überhaupt noch ein Interesse daran haben, die von ihnen aufgebaute Infrastruktur nicht aus dem Lande abzuziehen. Welcher Schritt sich, wie an der Entwicklung in zig Ländern zu ersehen, immer als äußerst schädlich für die die totale Verstaatlichung betreibende Regierung herausgestellt hat. Man braucht da beispielsweise nur an die von Europäern in Afrika unterhaltenen Farmen zu denken, die nach der Besetzung durch die Einheimischen einfach verkommen sind.

PS:










06 / 2000

„Wer reden kann, soll reden,
wer denken kann, soll denken“

Interview mit Jean Ziegler



Jean Ziegler ist Professor für Soziologie in Genf und Paris, war sozialdemokratischer Parlamentarier in Bern und hat eine Menge Bücher geschrieben, in denen er unter anderem das Schweizer Bankwesen als korrupten Filz beschreibt, der über Nazigold und Geldwäsche gebreitet ist. Ziegler selbst versteht sich nicht als Skandalautor, sondern als kritischer Aufklärer, der unermüdlich einen „mörderischen Kapitalismus“ bekämpft. Seinen ersten Österreichauftritt hatte er am 11. November bei der Großkundgebung in Wien, die sein politisches Sensorium nachhaltig beeindruckt hat. So etwas habe er in Zürich gegen Blocher nicht erlebt, meint er, in Frankreich gegen Le Pen nicht und auch nicht in Italien gegen Berlusconi. In Graz war der charmante Intellektuelle zu Gast bei der Österreichischen Buchmesse.

Ziegler: Wir leben in einer absolut mörderischen Weltordnung, die aber auf eine Herrschaftsstruktur zurückzuführen ist und nicht mehr auf eine Fatalität


Ihre beiden bekanntesten Bücher „Die Schweiz, das Gold und die Toten“ und „Die Schweiz wäscht weißer“, erschienen im Goldmann-Verlag und im Droemer-Verlag, haben hier durch die Diskussion um Reparationszahlungen an Opfer des Nazi-Regimes und durch die Probleme, die Österreich wegen seiner anonymen Konten hat, sehr an Aktualität gewonnen. Haben Sie sich bei Ihren Recherchen auch mit Österreich beschäftigt?
Natürlich haben meine Assistenten im Forschungsprozess exemplarisch die Lebensgeschichten vieler österreichischer Juden, die an der Schweizer Grenze abgewiesen wurden, verfolgt, wie auch die Komplexität des österreichischen Bankwesens, die ja bis heute in der Verschleierung der Guthaben fortbesteht, da habe ich Beispiele. Aber die Arbeit muss hier gemacht werden.


Sie attestieren der österreichischen Zivilgesellschaft im Hinblick auf den Widerstand gegen die Regierung geradezu Vorbildcharakter. Hierzulande kennt man wiederum eher die Schweiz als traditionelle Vorzeigedemokratie.
Blochers xenophobe, antisemitische Volkspartei ist am 22. Oktober 99 zur stärksten Partei geworden – sie ist nur nicht an die Regierung gekommen, weil wir das föderative Konkordanzprinzip haben und nicht das Mehrheitsprinzip. Das Haider-Phänomen geht im Jungle-Kapitalismus natürlich weit über Österreich hinaus. Dieses Phänomen stellt generell eine Gefahr dar, wenn Leute flexibilisiert werden, wenn die soziale Sicherheit wegfällt, wenn im Kollektivbewusstsein nur noch Profitmaximierung, Mehrwertakkumulation usw. als Werte proklamiert werden, wenn der öffentliche Diskurs lautet: Der Starke hat recht und der Schwache ist eben selbst schuld ist. Das ist eine totale Verunsicherung, die die Leute erleben - in allen Schichten, nicht nur bei den Ärmsten -, wenn als Folge der Globalisierung des Finanzkapitals der Nationalstaat ebenso zerfällt wie die soziale Demokratie, was dann durch die neoliberale Ideologie legitimiert wird. Da haben natürlich solche „Identitäts-Bewegungen“, wie die des Blocher, des Berlusconi, des Le Pen, oder eben die des Haider leichtes Spiel. Mit ein paar irrationalen Sprüchen, die nichts mehr mit der analytischen Vernunft und der eigentlichen Politik zu tun haben, fangen die diese Angst auf.


Und wo liegen bei diesem Szenario noch Möglichkeiten und Chancen für die analytische Vernunft oder die rationalistische Aufklärung, denen Sie sich in Ihren Büchern verpflichtet zeigen?
Es klingt so überheblich, wenn ich das sage, aber es gibt einen moralischen Imperativ: Wer reden kann, der soll reden, wer denken kann, der soll denken. Heute ist die Welt ja unleserlich geworden, doch auch wenn man in einem Tunnel ist, heißt das nicht, dass man blind wird. Ein Sechstel der Weltbevölkerung wird jedes Jahr durch Nahrungsmittelmangel zerstört, ohne dass ein objektiver Mangel an Gütern zur Befriedigung der irreversiblen Bedürfnisse des Menschen bestünde, wie Marx das noch gedacht hat. Wir leben also in einer absolut mörderischen Weltordnung, die aber auf eine Herrschaftsstruktur zurückzuführen ist und nicht mehr auf eine Fatalität. Und gegen die muss man andenken, anreden, an-analysieren. Das Denken befreit die Freiheit im Menschen. Was der dann mit seiner Freiheit tut, das ist das Mysterium der Geschichte.

Das Interview führte Hermann Götz.


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