Sonntag, 5. Februar 2012

1569 Weiter geht's mit der MOREQUALITIESINLIFE/1: Zum Scheitern des Versuchs, Kreuzfahrtschiffe als Fluchtvehikel aus der täglichen Misere zu benutzen



.....fragten sich mit Bestimmheit Leute wie der nachstehend erscheinende, vor der Costa Concordia photographierte Erich Müller. Auch er dürfte sich von der Annonce der Reederei oder Chartergesellschaft, die dieses Kreuzfahrtschiff permanent auszulasten bestrebt ist, versprochen haben, dass das entsprechende Angebot "ABSOLUT INSPIRIEREND" sein werde. Wozu hier schon gleich zu Beginn der Kernpunkt angesprochen werden soll, um den es in den folgenden Ausführungen geht: das Schaffen eskapistischer Welten und den eigentlich nur als lemminghaft zu charakterisierenden Einstieg in diese.



Was ja auch nicht weiter wundernehmen will, hält man sich vor Augen, dass zusätzlich zu eindrucksvollen Sonnenuntergängen auf See und den ungewohnten Ausblicken auf fremde Gestade das Leben an Bord sich sehr
bunt gestaltet. Da folgend gebrachte, der FAS-Ausgabe 03/12 entnommene Schaubild hält die dort offerierten Möglichkeiten der Freizeitgestaltung recht übersichtlich fest, dabei unter der Überschrift "Untergang einer Stadt" notierend: "Auf der 'Costa Concordia' konnte man im Fitnesscenter trainieren, ins Theater gehen, durch die Einkaufspassage bummeln - fast wie zu Hause."


Insofern kann es also nicht weiter erstaunen, dass die Menschen an Bord ungeduldig darauf warteten, dass die Leinen ...............


............... losgemacht wurden, um sie an die Sehnsuchtsorte zu befördern, welche ihnen das ganz besondere Erleben und Exklusive verheißen, unterwegs dorthin auch noch Kurzweil die Menge geboten bekommend. 31 Orte der Zerstreuung und des Genusses gibt resp. gab es auf der Costa Concordia, die hier einmal aufgezählt werden sollen - zusammen mit den in dem Schaubild festgehaltenen Unterbringungs- und Versorgungsstätten:
  • Theater
  • Außenkabine
  • Läden
  • Atrium
  • 5 Bars
  • 4 Restaurants
  • Cafeteria
  • Speisesaal
  • Kasino
  • Disco
  • Internet-Hotspot
  • Ballsaal
  • Pianobar
  • Salon
  • Strand an Deck: Mittelmeer
  • Club Concordia
  • Fitnessclub
  • Squok Kinderclub
  • Sportplatz
  • Strand an Deck: Riviera
  • Formel-1-Simulator
  • Beauty-Salon
  • Wellness-Zentrum.

Das, was der Blogger bei diesem Eintrag gedanklich in seinem Hinterstübchen bewegt, findet sich auf den Punkt gebracht in dem Titel, welcher der vorstehend gebrachten Aufnahme von der Redaktion verpasst worden ist: "Fluchtpunkt Santa Catalina - Die Reichen und Schönen aus Los Angeles entdecken die einstige Privatinsel des Kaugummi-Milliardärs Wrigley neu...":

Egal, ob mehr oder weniger bemittelt - jede Offerte, die es erlaubt, aus dem als ebenso unbefriedigend wie das eigene Ich erlebtem Umfeld auszubrechen, wird mit einer Inbrunst ohnegleichen begrüßt und mit einer eigentlich nur lemminghaft anmutenden Manier genutzt, der geradezu krankhafte Züge zu eigen sind.



Nur weg!, bloß raus!, fort von dem Gewohnten! - und dies bitte auch so exclusiv wie möglich: Den Angehörigen der Spezies, die sich selbst die Auszeichnung "homo sapiens" zwar verliehen hat, kaum je aber dem so selbstgesetzten Anspruch gemäß handelt, diesen "Quartalsirren" - ein soeben erst von einem Politiker für Angehörige einer anderen Partei benutztes Schmähwort - geht bei der so zum Ausdruck kommenden Disposition gar nicht auf, dass es ihnen im Grunde überhaupt nicht weiterhilft, wenn auf der "Color Fantasy" acht Restaurants mit Gaumenfreuden locken. Auch wenn damit doppelt soviele wie auf der "Costa Concordia" zur Verfügung stehen: Im Endeffekt bleibt es höchst unbefriedigend, von einem Restaurant zu nächsten zu pilgern und sich den Wanst vollzuschlagen - und sei es auch mit noch so erlesenem Essensmaterial. Ob die "Disney Fantasy" oder die ganz in Weiß daherkommende "Columbus 2" möglicherweise mit noch mehr Restaurants ausgestattet sind: diese Frage interessiert den Blogger nun wirklich überhaupt nicht weiter.


"Toller Ausblick: Observation Lounge" ist über der Aufnahme zu lesen, die von dem vergnügt bei einem Gläschen Sekt dreinschauenden Pärchen auf dem Kreuzfahrtschiff des Unternehmens "Color Line" gemacht worden ist. Wobei sich zumindest der Blogger fragt, ob die kahle Meeroberfläche, die als Besonderheit ja eigentlich nur das weiß gischtende Einbrechen der Wellenkämme zu bieten hat, auf Dauer so unterhaltsam ist, dass man darüber in ein angenehmes Träumen versinken kann. Von daher erschließt sich ihm auch der Sinngehalt der vorstehend gebrachten Losung etwas: "Wenn ich die See seh, brauch ich kein Meer mehr!"


Die Sinnhaftigkeit des Riesengeschäftes, welches ganz wenige Schifffahrtsunternehmen mit einer fast pausenlosen Präsentation von Sehnsuchtsorten - an denen kaum jemand das finden wird, was er eigentlich sucht, nämlich Glück und von innen kommende, nicht von außen genährte Zufriedenheit -, ein solcher Gehalt an über das rein Finanzielle hinausgehenden, wahre Befriedigung ermöglichenden Momenten ist von dem Blogger schon immer bezweifelt worden - nicht erst seit der Havarie der "Costa Concordia".
Für ihn war es völlig klar, dass ein Unternehmen, welches wie alle in seinem Umfeld nur daran interessiert ist, den ganz großen Reibach zu machen, für die geschädigten Passagiere des untergegangenen Schiffes nur ein Almosen übrig haben würde - so, wie es jetzt in der Presse erscheint.

..... lässt sich auch in diesem Zusammenhang sagen. Köpfe, die wie der Blogger aus Vermeldungen wie der folgenden ihre Schlüsse zu ziehen wissen: ".... Alle gehen an Bord. Kreuzfahrtschiffe werden immer riesiger, die Ausstattung immer irrwitziger. Glasbläserei und Wildwasserbahn dürfen nicht fehlen" (so der Subtitel des von der Journalistin Melanie Amman verfassten und in der Ausgabe 03/12 der FAS veröffentlichten Beitrags "Wer denkt denn schon an Schiffbruch"). Mit anderen Worten: "Kluge Köpfe gesucht, ...." die imstande sind, dem auch hier wieder sich darstellenden Geschäftsgebaren wie auch dem der darauf hereinfallenden Zeitgenossen den Stellenwert zu geben, der diesen beiden Verhaltensäußerungen zukommt.

Mit Kinnbart, Schnäuzer und Brille sehr großen Ähnlichkeit mit dem Herrn aufweisend, dem, wie hier ersichtlich, die Augen förmlich übergehen, glaubt der Blogger sich zu dieser Sorte Mensch rechnen zu können. Mit der genannten Journalistin hält er dafür, dass alles, was sich seit etwa 10 Jahren auch auf deutschem Terrain hinsichtlich der Organisation solcher Veranstaltungen tut - in den USA sind, wie die Autorin zu berichten weiß, Kreuzfahrten seit Mitte der neunziger Jahre ein Massenphänomen -, maßlos übertrieben ist.

Dazu die einleitenden Statements der Verfasserin des Berichtes "Wer denkt denn schon an Schiffbruch": die "nagelneue 'Disney Fantasy' aus der Meyer Werft ... ist das größte Kreuzfahrtschiff, das eine deutsche Werft je baute: 340 Meter lang, 130 000 Tonnen schwer, 500 Millionen Euro teuer. Wenn der Gigakutter bald zur Jungfernfahrt in die Karibik aufbricht, werden die 1250 Kabinen ausgebucht sein." Diese werden dann, der Textinformation folgend, Platz für insgesamt 4000 Passagiere bieten - mithin soviel, wie eine Kleinstadt an Einwohnern zählt. In dem Bericht auch erwähnt: Dass die "Costa Concordia" sich in einer vergleichbaren Größenordnung bewegt hat.

Das Kreuzfahrtgeschäft, bei dem Reedereien in Deutschland einen Umsatz in Höhe von 2 Milliarden Euro verbuchen können, die sich im 100. Jahr des "Titanic"-Untergangs aus dem Aufkommen von 2 Millionen Passagieren per anno ergeben, boomt auch nach der Havarie des Unglücksschiffes weiter: 2 Millionen Deutsche sollen dem Text zufolge ihre erste Kreuzfahrt planen.

Unter denen ist dann etwa auch "die alleinerziehende Verkäuferin, die sich und ihrem Kind zum Schnäppchenpreis von 450 Euro eine Woche Innenkabine und Vollpension auf dem Mittelmeer-Kreuzer gönnen" kann - was durch den Summierungseffekt für die Reedereien auch die weniger Betuchten interessant werden lässt; wer dagegen "für 6000 Euro die Woche auf der 'Seabourne' in See sticht, trifft an Bord höchstens 200 Mitreisende - und 150 dienstbare Geister", und wird mit einer in dieser Höhe sich bewegenden Ausgabe für sein privates Vergnügen natürlich äußerst interessant für die Veranstalter solcher Touren. Die es sich auch nicht nehmen lassen, für den gutbetuchten Gast "eine Kiste seines Lieblingsmineralwassers mit dem Taxi aus Paris in den nächsten Hafen" karren zu lassen.

So gut wie unbekannt dürfte sein, dass, wie in diesem Blog bereits an anderer Stelle kurz notiert, Kreuzfahrtschiffe nicht nur durch ihren Kraftstoffverbrauch extrem umweltschädlich sind: a) wird auf ihnen mit Schweröl ein Treibstoff eingesetzt, der an Land nicht zuletzt deshalb verboten ist, weil dessen Rußschwaden laut WHO jedes Jahr 60 000 Menschen das Leben kosten; b) emittieren sie auf einer bestimmten Strecke insbesondere soviel klimaschädliches Abgas, wie 5 000 000 Pkw für einen gleichlangen Weg bräuchten; c) haben auch die übergangslos ins Meer gelangenden Abwässer dazu beigetragen, dass der Naturschutzbund Nabu der Kreuzfahrtindustrie den Schmähpreis "Dinosaurier" verliehen hat.

Dass es den Reedereien nur darum geht, in ganz großem Stile Kasse zu machen, lässt sich nicht zuletzt daraus ersehen, dass die Crewmitglieder, also hauptsächlich Stewards, Köche und Animateure, einen nur 4 Tage dauernden und nur 280 Euro kostenden Einführungskurs zu absolvieren haben, um für den Einsatz an Bord fit zu sein. Da das fragliche - für den Blogger: äußerst fragwürdige - Geschäft so brummt, werden allein an einer der drei Seefahrtsschulen, nämlich der in Rostock, per anno 4700 angehende Crewmitglieder durch ein derartiges "Training" geschleust. Weiterbildung: Fehlanzeige.

PS1: Hier abschließend noch die Titelseite der HAZ-Ausgabe vom 7.d.Mts. mit der Aufschrift "Neue Leserreisen 2012"; danach noch 2 der Riesenpötte, die auf der insgesamt 20 Seiten umfassenden Beilage präsentiert werden:


PS2: Der Aspekt des Unbehaustseins, des nicht bei sich selbst Verweilen-Wollens und der Flucht in die Fremde findet sich ausführlicher dargestellt in Post 1526:

1526 "Gerade einen wichtigen Menschen wieder getroffen. Mich selbst": Eine Werbebotschaft von TUI, die recht gut zu der heute im Boenhoeffer-Haus...

PS3: Am 8.d.Mts. im Infolabor eingetroffen ein SPIRITletter, der genau das zum Thema hat, was hier mit der Flucht vor sich selbst und der pausenlosen, sich eigentlich nur krankhaft darstellenden Suche nach Zerstreuung.angesprochen werden sollte:



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Eignes Haus
Die Welt zerstreut oder engt dich ein;
Musst in dir selbst zu Hause sein.
Der wird von Unrast nicht verschont,
Der bei sich selbst zur Miete wohnt.
Paul Heyse






08. Februar 2012





















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