Freitag, 10. September 2010

858 "Politiker, hört die Signale!", so ein Aufruf an die, die in unseren Landen das Sagen haben. Beinhaltend, dass sie ihre Wahrheiten nur noch mit floskelhaften Wendungen verteidigen.

So jedenfalls die Journalistin Susanne Gaschke in der neuesten Ausgabe der Wochenzeitung DIE ZEIT (Nr. 37). Nur kurz rekurrierend auf den Fall Sarrazin, stellt sie in der Bevölkerung eine wachsende Unzufriedenheit mit dem fest, was diese Politiker und die von ihnen bedienten Medien so von sich zu geben resp. was sie so auf den verschiedensten Bühnen des Geschehens zu inszenieren pflegen.

Die Haltung der Bürger zu gesellschaftlichen Problemen im letzten Fünftel des vergangenen Jahrhunderts charakterisiert die Autorin folgendermaßen: "Die politische Grundstimmung der achtziger Jahre lautete " 'Ich bin unzufrieden, aber ich kann etwas tun' und mündete letztlich im Erfolg der Grünen und der neuen sozialen Bewegungen. Natürlich machten dabei nur mache Leute mit, aber die Möglichkeit, politisch etwas zu bewegen, lag für alle spürbar in der Luft. Heute ist die Grundstimmung defätistisch: 'Ich bin unzufrieden, aber ich kann sowieso nichts ändern'."

Schon immer habe es darüber hinaus noch den schlecht gelaunten Taxifahrer, den nörgeligen Rentner und den verdrossenen Tresenhocker gegeben, die sich immer nur zu folgendem resignierenden Statement hätten durchringen können: "Mich fragt ja keiner." Was nicht weiter tragisch gewesen sei. In neuerer Zeit aber sähe dies anders aus - Zitat: "In den vergangenen 20 Jahren aber sich sich etwas verändert, dass schlimm werden könnte. Es wächst eine Verdrossenheit, die in den Reaktionen auf Thilo Sarrazins Buch nur ihren jüngsten Ausdruck findet. Offenbar verspüren immer mehr Menschen, die sich selbst durchaus als verantwortungsbewusste Bürger wahrnehmen, eine Entfremdung von Politik und Medien. Sie haben das Gefühl, dass ihre Erfahrungen und Probleme von den politischen Repräsentanten entweder nicht gesehen oder willentlich ignoriert werden oder - schlimmer noch - dass man sie ihnen wegpädagogisieren will. Das gilt beileibe nicht nur für das Integrationsthema, das jetzt, eigentlich ein wenig verspätet, zum Kristallisationspunkt dieser Empfindungen geworden ist."

Im Weiteren führt sie zu diesem Thema noch kurz aus, dass in den achtziger Jahren Multi-Kulti angesagt gewesen sei, was es schwer gemacht habe, sich etwa bei den für die Innenstadtschulen spezifischen Problemen kritisch zu vermelden. Ferner, dass die Begeisterung für Sarrazins Tabubruch etwas hochhole und in einer rückwirkenden Abrechnung mit dieser Zeit als Problem auf dem Tisch mit den politischen Agenda plaziere, was zuvor immer glattgebügelt worden sei. Dann aber kommt sie zum Kernpunkt ihrer Ausführungen: Der "Kluft zwischen der politisch-medialen Sphäre und dem Leben, das sonst so stattfindet", die zu überbrücken immer schwerer falle.

Die Schuld an einer solchen Entfremdung zwischen Regenten und Regierten weist sie zunächst den Parteien zu, denen es in einem nur vermeintlich postideologischen und technokratischen Ansatz jetzt nur noch ausschließlich darum zu tun sei, eine "wissenschaftlich wahre Politik" zu betreiben, darüber dann "das alltagstaugliche, menschliche Sprechen" völlig verlernend. Die Forderung der Autorin: "Sie [die Parteien] müssten nach den Erfahrungen der Menschen regelrecht gieren, sie nicht desinteressiert abwehren. "

Besonderes Gewicht bei dieser auf die Entfremdung zwischen den in den Politikprozess Involvierten misst sie dem Einfluss der Medien zu. Bei denen Quoten- und Auflagendruck dazu führten, dass sie thematisch immer ähnlicher würden - mit folgendem Effekt: "Event-Berichterstattung mit inszenierten Konflikten, steilsten Thesen und größter Empörung verschlingt [sic] den Raum für Beobachtungen kleinerer, stillerer Veränderungen in der Gesellschaft.. Vor allem aber irritiert das Publikum die oft allzu gleiche Tendenz der Blätter uns Sender: Da wird ein Parteivorsitzender gemeinsam zur Strecke gebracht; eine Regierung des Versagens praktisch schon vor Amtsantritt bescheinigt; da wird, wie im Fall Sarrazin, erst auf eine Abberufung hingewirkt, um dann sogleich das Abberufungsverfahren als unzulänglich zu kritisieren. Die Erregungsroutine ist so groß, dass der Verlauf fast jeder Debatte vorhersagbar wird." Medien, so die Forderung der Autorin, "müssten mit offenem Blick in die Runde schauen und Themen finden, statt sie zu inszenieren. In diesen Zusammenhang auch zu stellen ihre Ausführungen zu dem Arbeitsstil der Lokalpresse: "Nur wenn er [der Lokalredakteur] das Thema 'sieht', kommt das Bibliotheksprojekt in der Öffentlichkeit überhaupt vor, werden die Irrwitzigkeiten eines städtischen Sparprogramms offenbar, lassen sich Leute bewegen, bei einer Integrationsinitiative mitzumachen. Wenn er das Thema nicht sieht: Pech gehabt."

Zu den "neuen unumstößlichen Wahrheiten", die von irgendwelchen Sachverständigen verkündet und von den von der Journalistin vor allem im "Hinterland der CDU/CSU" ausgemachten Politikern dann als Richtschnur genommen werden, zählt sie das, was beispielsweise zu den Problemkreisen Kita, dreigliedriges Schulsystem oder Windkraftanlagen in Umlauf gebracht worden ist. "Versuchen Sie einmal, bei einem Treff der Frauen-Union darauf zu bestehen, dass Sie Ihr sehr kleines Kind lieber selbst pflegen und betreuen, als es in eine Kita zu geben - einfach weil Sie nicht wissen, ob die gestressten Erzieherinnen dort so nett zu ihm sind wie Sie selbst. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Ihnen die wissenschaftlich erwiesene Nützlichkeit der frühkindlichen Förderung um die Ohren gehauen, dazu eine Studie diese oder jener Stiftung zur Notwendigkeit der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt. Ähnlich ist es bei dem dreigliedrigen Schulsystem, nur dass die Totschlagargumente in diesem Fall irgendwelche OECD-Papiere zum gemeinsamen Lernen sind. Und wer gar in politisierter Umgebung eingesteht, dass er Windkraftanlagen unschön findet, weil sie seine Erinnerungslandschaften zerstören, der kommt energiepolitisch und gruppendynamisch auf keinen grünen Zweig mehr."

Etwas hilflos klingend das Resultat, zu dem Susanne Gaschke gelangt: "So bleiben leider leider, unbequem und lästig, wie das klingen mag, nur zwei Möglichkeiten: Man erobert die alten Parteien zurück. Oder man gründet neue."

Keine Kommentare: