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Viele Anfänger auf dem geistlichen Weg entwickeln eine große geistliche
Habgier. Sie wollen mit Gewalt mehr wissen, als Gott ihnen eingibt. Sie befolgen
immer neue geistliche Vorschriften, holen sich überall Rat und lesen viele
entsprechende Bücher. Auf dieses Tun verschwenden sie mehr Zeit als auf die
Einübung der inneren Stille und auf das damit verbundene Sterbenlassen der
vorherrschenden Ich-Strukturen. Anstatt die innere Armut des Geistes zu pflegen,
damit dieser das Licht und die Liebe Gottes in sich aufnehmen kann, belasten sie
sich mit immer neuen Bildern und Vorstellungen. Mal pilgern sie hierhin, mal
dorthin und laufen allem nach, was auf dem religiösen Gebiet von sich reden
macht. Mal verehren sie diesen, mal jenen Heiligen, tragen Reliquien bei sich
und schmücken sich überbetont mit dem Kreuz und anderen religiösen Gegenständen.
Sie laufen herum geschmückt und stolz wie die Kinder mit Perlen. Dieses
unersättliche Streben und Festhalten ist zu verurteilen, da es nicht aus dem
Herzen kommt und gegen die Armut des Geistes verstößt.
Peter Dyckhoff, Geistlich leben nach Johannes vom Kreuz (Verlag
Herder)
Ist Ihnen
aufgefallen, dass Pater Dr. Peter Dyckhoff hier einen Text von Johannes vom
Kreuz ins heutige Deutsch transformiert? Johannes vom Kreuz (16. Jh., Spanien;
http://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_vom_Kreuz)
ist eine der herausragenden Gestalten der mittelalterlichen Mystik – ein Rebell
seiner Zeit, mit Depression und Verfolgung ringend –, die natürlich anders
»tickt« als heutige Mystik und Spiritualität. Da wir auf solchen und ähnlichen
Schultern stehen, ist es wichtig, dass wir wenigstens gelegentlich einen,
wenngleich bisweilen befremdlich mystischen Text unserer Vorfahren einbeziehen.
Spiritualität besteht und entsteht auch in und durch Anfechtung, Befremden und
die folgende Auseinandersetzung mit der jeweiligen Botschaft. Sie dient
spirituell gesehen dazu, die eigene Spiritualität zu klären – eventuell in der
Unterscheidung von anderen spirituellen Ansätzen und Inhalten. Und kann uns
davor bewahren, Spiritualität nur als Wellness-Wohlgefühl
misszuverstehen.
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