Dienstag, 1. März 2011

1078 "Der reiche Jude": Ein Mythos. Sich gründend auf einem Guttenberg nahen Geschreibsel. Veranstaltet vom Ökonomen und Sozialwissenschaftler Sombart.

Ein Buch von Abraham H. Foxman räumt mit dieser Legende auf. Es trägt den Titel "Jews and Money: The Story of a Stereotype" und wurde als 256 Seiten umfassende Schrift 2010 veröffentlicht bei Palgrave-Macmillan. Vorgestellt findet es sich in der FAS 07/11 vom 20. Februar. Und zwar von dem Journalisten Michael A. Gotthelf. Doch bevor hier die Buchbesprechung mit ihren Kernaussagen vorgestellt wird, hier zunächst eine Legende, die ein Camper in der Folgeausgabe der FAS verbreitet - in einem Cartoon:

Da steht in einem von Greser & Lenz festgehaltenen, sich zwischen Wohnwagen und Zelten abspielenden Szene, ein dickbäuchiger Urlauber unweit einer von der Lektüre ihres Buches aufschauenden Dame und verkündet Folgendes: "Des is ein aaständischä Mann, unsän neue Nachbar, der Herr Gaddafi, er hat miä mit em Kännsche Öl ausgeholfe für unsänä Aahängekupplung, die wo so quietsche tut".

Zwar quietscht es auch mächtig bei dem, was der genannte "Wissenschaftler" an Gedankenverbindungen herzustellen sich bemüht - aber niemand außer Fox scheint bei dato dessen gewahr geworden zu sein. Dieser Autor zeigt anhand einer Reihe von Fakten, welche den fraglichen Mythos widerlegen, auf, dass der populär gewordenen Einschätzung der Juden als von ihrem Genen her zum Geldwesen hinneigenden Individuen, von denen her sie gar nicht anders können, als sich zu bereichern, einer rational zugänglichen Basis total entbehrt. Womit er die Grundfesten des Glaubens sowohl bezeichnet wie auch untergraben haben dürfte, auf der die Nazis ihr Gott sein Dank ja zusammengestürztes Gedankengebäude errichtet haben.

Zu diesem Geschehen bringt Gotthelf einleitend einen Witz: " 'Herr Ober, bringen Sie mir bitte einen Tee und die 'Völkischen Beobachter' , bittet ein Jude 1946 in einem Café. Darauf der Ober: 'Aber mein Herr, ich habe Ihnen doch schon hundertmal erklärt, dass es den 'Völkischen Beobachter' nicht mehr gibt'. 'Ich weiß', sagt der Mann, 'aber ich kann's nicht oft genug hören'."

Bis heute sei immer wieder zu hören, das Juden reich seien - auf dem Boden welchen Gerüchts sich nach Darstellung von Gotthelf resp. Fox Animositäten ohne Ende nähren. Wodurch der Jude in eine Situation gerät, die der Autor folgendermaßen skizziert - erinnernd "an Ludwig Börnes Pariser Briefe', in denen der Frankfurter Jude schon 1832 anmerkte: 'Die einen werfen mir vor, dass ich ein Jude sei; die anderen verzeihen es mir; der dritte lobt mich gar dafür; aber alle denken daran'." Wie konnte es zu einer solchen Situation kommen?

"Vor genau hundert Jahren hat sich in dem Buch 'Die Juden und das Wirtschaftsleben' Werner Sombart mit dieser Frage [nach dem möglicherweise besonderen Judengen] befasst und sozusagen den Klassiker des ökonomischen Antisemitismus [der ja wohl die Grundlage des Antisemitismus überhaupt sein dürfte] im renommierten Verlag Duncker & Humblot publiziert. ... Der Ökonom und Sozialwissenschaftler kommt in der Tat auf 475 Seiten zu dem Schluss, das es 'den Juden im Blut liege', Geld anzuhäufen; die jüdische Religion sei die Religion des Mammons. Gleich zu Beginn behauptet Sombart, 'ein streng wissenschaftliches Buch' zu schreiben, welches sich 'aller Werturteile enthält'. Hierbei sei es am besten, sich der statistischen Methode zu bedienen, um den Einfluss der Juden auf die Wirtschafts- und Finanzwelt und ihren Reichtum zu messen. Dummerweise verfügt Sombart aber kaum über Statistiken, die zu dem von ihm gewünschten Ergebnis führen. So wählt er sich eine 'andere Methode, die ich genetisch nenne und die selbst große Vorzüge vor der statistischen Methode aufweist', und versucht sich in dem Nachweis, dass der Kapitalismus und die freie Marktwirtschaft aus 'spezifisch jüdischem Geist geboren sind'."

Bei Gotthelf heißt es zu diesem eigenartigen Ansatz "wissenschaftlichen Denkens" weiter: "Wem dies alles abstrus [beste Grüße von oder an zu Guttenberg] vorkommt und gleichsam aus der Rumpelkammer der Geschichte entliehen - ähnlich der Mär von der Verantwortung der Juden für die Pest im Mittelalter und das Schlachten kleiner Christenkinder, die zu zahlreichen Pogromen mit Hunderttausenden Toten führte -, der sei daran erinnert, dass die Geschichte vom 'reichen Juden' auch heute noch zu den am meisten gepflegten Vorurteilen unserer Tage zählt."

Eine der zentralen Thesen der Hetzschrift "Völkischer Beobachter" lebt also weiter, sich dabei hoher Popularität erfreuend. "Es ist die Mär vom reichen Juden und der besonderen Beziehung, welche 'die' Juden zum Geld haben." Der vorgeblich in wissenschaftlicher Manier an sein Forschungsobjekte herangehende Sombart verstieg sich mangels der von ihm ja sogar zunächst als Beweismittel ins Feld geführten Statistiken zu folgender Behauptung, mit welcher er Zweifel an seinem Vorgehen vom Tisch wischen wollte: " 'Viel bedeutsamer als alle Nachweise eines äußerlich wahrnehmbaren Zusammenhangs zwischen Juden und Inhaberpapieren erscheint mir der Umstand, dass wir die Vaterschaft der Juden für die Inhaberpapiere aus zwingenden INNEREN [sic] Gründen annehmen müssen'; das sind 'das Interesse, das die Juden in besonders hohem Maße (hieran) haben und die Idee des Inhaberpapiers aus dem innersten Wesen, aus dem Geist des jüdischen Rechts ableiten lässt'."

Sombart, der - vom Stil seiner Bekundungen her damit Guttenberg ähnelnd - hoch und heilig versichert hatte, er wolle die Dinge wissenschaftlich-nüchtern betrachten und sich dabei jeglichen Werturteils enthalten, hatte nicht einmal soviel Grips, um mitzubekommen, dass er seine Darlegungen nun überhaupt nichts mit eben jeder Wissenschaftlichkeit zutun hatten. Ja, er entblödete sich nicht einmal, mangels Beweisbarkeit seiner Thesen durch Zahlen die von ihm kreierte "genetische Methode" so ins Feld der argumentativen Auseinandersetzung mit dem Judentum zu führen: " 'Da kommt uns nun aber die im wesentlichen von mir (...) angewandte 'genetische' Methode zustatten, insofern sie uns den Einfluss der Juden 'deutlich verspüren lässt'."

Gotthelf kommentiert hiernach: "Der Autor spürt und fühlt es, Fakten bleibt er schuldig - so auch bei einer weiteren Kernthese." Und die wird von ihm folgendermaßen zitiert: " 'Wir besitzen zwar keine Vermögensstatistik aus jener Zeit (...) ich behaupte, dass unter den Juden viel Reichtum war und verbreitet ist (...) und dass die Juden allerorts reicher waren, als die sie umgebenden Christen'." Mit anderen Worten: Bar jedes Anhaltspunktes setzt Sombart also Thesen in die Welt, die jeglichen Bezuges zur Realität hin entbehren und nur das Zeug in sich haben, seine Umwelt gegen die Juden aufzubringen. "Er sieht seine 'genetisch' definierten Mechanismen am Werke und die jüdischen Rasse somit 'unheilbar' vom Geldgen gesteuert: 'Die blutsmäßige Verankerung dies Wesens ist erwiesen, und es entfällt die an sich sehr unwahrscheinliche Hypothese, dass die ... Eigenart eine bloße Übung gewesen sei, von der das Blut nichts gewusst habe'."

Laut Gotthelf kann Foxman anhand amerikanischer Statistiken nachweisen, dass die von Sombart in die Welt gesetzten Behauptungen nicht zutreffen. "Diesen zufolge lebten rund 14 Prozent der amerikanischen Juden (die dem Klischee nach die reichsten unter den Amerikanern sind) im Jahr 2001 unterhalb oder an der Armutsgrenze; in Großstädten wie New York waren es gar zwanzig Prozent. Diese Prozentsätze entsprechen ungefähr denen anderer ethnischer Gruppen in den Vereinigten Staaten ... Bei den Spenden und Stiftungen für wohltätige Zwecke schätzen Experten den jüdischen Anteil auf knapp 18 Prozent, bei einem Bevölkerungsanteil von knapp zwei Prozent - so viel zum Klischee vom geizigen Juden."

Bei Gotthelf heißt es weiter: "Auch lohnt ein Blick auf Israel mit seinen rund acht Millionen Einwohnern. Detaillierte Statistiken der Vereinten Nationen sehen Israel, gemessen am Human Development Index, welcher versucht, das reale Volksvermögen pro Kopf nach Einkommen, Bildung und Gesundheit zu reflektieren, auf Platz 15, hinter Frankreich, vor Finnland; Deutschland liegt nur auf Rang 10. Und auch beim Bruttosozialprodukt pro Kopf steht der jüdische Staat mit 28 581 Dollar in der Nähe südeuropäischer Staaten; die 'reichen Juden' liegen also weit hinter den Deutschen und deren Nachbarn."

Das letzte Viertel der von Gotthelf vorgelegten Buchbesprechung ist den historischen Wurzeln des Mythos vom "reichen Juden" gewidmet. Die reichten zurück ins tiefe Mittelalter und fielen mit einem machtpolitischen Höhepunkt der katholischen Kirche zusammen, stellt der Autor dazu einleitend fest. Und fährt folgendermaßen fort: "Bis zum Jahr 1000 spielte die Geldwirtschaft keine dominante Rolle. Im Warenverkehr in Europa überwog der Tauschhandel. " 'Mit dem Orienthandel - ausgehend von den oberitalienischen Städten - änderte sich dies nach und nach, und Geldgeschäfte wurden mehr und mehr üblich, bis Papst Innozenz III. Im Jahr 1215 das 'kanonische Zinsverbot' erließ.

Das war für Christen absolut verbindlich und gründet sich auf Bibelstellen im Alten Testament, welche die Zinsnahme untersagten. Parallel wurden die Juden immer stärker wirtschaftlich diskriminiert: Sie durften nicht in der Landwirtschaft tätig sein, kein Land erwerben, ebenso wenig wurden sie in Handwerks- oder andere Zünfte aufgenommen, so dass diese Art des Lebenserwerbs für sie ausfiel. Lediglich Handel und Geldgeschäfte wurden ihnen gestattet - und gleichermaßen zum Vorwurf gemacht. Auf christlichen Druck hin und der Moral der Kirche folgend mussten sie sich nun auf das Geldgewerbe beschränken, dessen Ansehen auf einer Stufe mit Prostitution und Raub stand.

Als unterdrückte Minderheit und zugleich Kreditgeber dienten die Juden der christlichen Herrschaft gleich in mehreren Funktionen. Sie wurden über hohe Steuern und Abgaben sowie über Kreditgewährung zur Finanzierung der Staatshaushalte benutzt, ohne dass sich ein einziger Christ die Hände schmutzig machrn musste. Gleichzeitig dienten sie als Sündenbock für Naturkatastrophen, Fehlentwicklungen und dergleichen mehr, bis hin zur Verbreitung der Pest.

Einen weiteren Hintergrund für die häufiger werdenden Pogrome bildeten die die 'Umverteilungseffekte', die sich günstigerweise damit auch jeweils produzieren ließen: Wollte man sich der Schulden entledigen, erpresste oder vertrieb die Juden oder schlug sie tot - ein Verfahren, das später auch die Nationalsozialisten wählten. Das ökonomische Weltbild, das hinter dieser Ideologie stand, qualifizierte nur das als Arbeit, was sozusagen im Schweiß des Angesichts produziert wurde. Nur Bauern und Handwerker wurden diesen Kriterien gerecht. Man konnte nicht begreifen, dass auch die reine Entscheidung, in einen Wirtschaftszweig, ein Unternehmen oder eine Ware zu investieren, bereits eine Produktivitätssteigerung hervorrufen konnte. Gleiches gilt für den Warenaustausch - gerade auch im Außenhandel, wie David Ricardo mit seinem Theorem über komparative Kostenvorteile aufzeigt. Das sozialromantische Bild des 'Volkswirtschaftens' dominierte bis weit in die Epoche des Nationalsozialismus hinein gerade in Deutschland das Denken, während man sich im angloamerikanischen Raum schon früh davon löste, sowohl intellektuell als auch betriebswirtschaftlich, was bis heute in die Wirtschaftsstrukturen der Staaten hineinwirkt, wenn wir etwa die Dominanz Londons und New Yorks im Bankensektor betrachten."

Abschließend seien hier noch die wichtigsten Statements aus der Schlusspassage des Textes zitiert: "Während man in Deutschland über Jahrhunderte Handel und Kredit als wenig produktiv schätzte und mit Schmarotzertum und parasitären Geschäften gleichsetzte, deren Abwicklung man der jüdischen Minderheit abverlangte und gleichzeitig vorwarf, entging der Mehrheit mit ihrem beschränkten geistigen Horizont der wirtschaftliche Wert der Informationsbeschaffung und Analyse, die mit der Aktivität verbunden waren. Die Rolle der Wissensbeschaffung, der Lernens, der Risikobewertung wurden völlig unterschätzt. Und gerade hier verfügte die jüdische Minderheit über Vorteile."

In Auslassungen, wie man sie sowohl bei Sombart wie in dem Hetzorgan "Völkischer Beobachter" findet, offenbart sich somit ein extrem begrenzter Horizont - vor dem auch das Aufkommen von Neidgefühlen gesehen werden muss.

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