Freitag, 18. Februar 2011

1061 "Warum sind die Ägypter nur so arm?", fragt ein Journalist, dann feststellend: "Kaum ein anderes Land hat so wenig aus seinen Möglichkeiten gemacht wie Ägypten.

Eine korrupte Elite lenkte die Einnahmen aus Entwicklungshilfe, Ölverkäufen und dem Suezkanal in die eigenen Taschen - und übersah die demografische Zeitbombe." Zu diesem als Subtitel gebrachten Resümee gelangt Winand von Petersdorff in der Ausgabe 05/11, nachdem er die Situation im Land einer eingehenderen Analyse unterzogen hat. Mit ihr gelingt ihm eine Darstellung der Verhältnisse, die symptomatisch sind für das, was sich unter der Ägide ähnlicher Regime weltweit tut. Im letzten Absatz des von ihm verfassten Textes findet er dabei zu folgender Schlussbetrachtung: "Wer genau hinguckt, wundert sich, dass die verrottete Kommandowirtschaft überhaupt so lange halten konnte. Er wundert sich aber nicht, dass die Vertreter des Staatsapparats daran festhalten und deshalb Schlägertrupps bezahlen. Sie wollen an ihren parasitären Positionen festhalten, sie kennen es ja nicht anders."

 Zunächst führt der Autor all die Faktoren an, die zwar das Zeug haben, der Bevölkerung ein gutes Auskommen zu sichern, realiter aber sich nur einträglich für eine ganz kleine Clique erweisen. So geht der an sie gekoppelte wirtschaftliche Aufschwung totaliter an der Bevölkerung vorbei: auch wohl noch einige Zeit nach dem Umbruch müssen laut Angaben der Weltbank aber mehr als 40 Prozent davon mit weniger als 2 Dollar pro Tag auskommen - mit der Folge, dass wegen starker Preissteigerungen vor allem für Grundnahrungsmittel das Haushaltseinkommen vieler Familien kaum zum Leben ausreicht.

Als Gunstfaktoren werden von dem Journalisten folgende Sachverhalte angeführt:
  • Die geographische Lage: Sie prädestiniert das Land mit seiner Nachbarschaft zu Mittelmeer und Rotem Meer wegen der Handelsströme, die an dem Land vorbeiziehen, zu einer "Siegerrolle der Globalisierung". Um die 10 Prozent des globalen Seehandels müssen den Suezkanal passieren, was bei einem Aufkommen von jährlich 22000 Frachtschiffen permanent rund fünf Milliarden Dollar in das Staatssäckel fließen lässt (pro Schiff werden 200000 Dollar kassiert).
  • Das Land am Nildelta gehört zu den fruchtbarsten Agrarflächen der Welt: schon in der Antike galt es als "Kornkammer".
  • Ägypten verfügt über Ölquellen und - jüngst entdeckt - riesige Gasreserven.
  • Kulturschätze und Strände laden Touristen aus aller Welt ein.
  • Die kommerzielle Kultur des Basars und die frühe Blüte von Bildung und Wissenschaft haben sich seit je stimulierend auf das Land ausgewirkt. Wobei es interessant ist, zu erfahren, dass Mohammed ein Kaufmann war.
  • Der in Kairo bestehende hohe Ordnungsgrad macht Kairo zu einer Megapolis, in der man sich - so jedenfalls die Darstellung des Autors - so sicher fühlen kann wie in keiner anderen Hauptstadt.
  • Besonders lukrativ für das Land ist seine Empfängerrolle bei der Entwicklungs- und Militärhilfe.
  • Hinzu kommt schlussendlich noch die sich jetzt abzeichnende Nutzungsmöglichkeit der in der Wüste einzufangenden Sonnenenergie, die aller Voraussicht nach einen weiteren Aktivposten im Wirtschaftsgeschehen des Landes darstellen wird.
Als Ungunstfaktoren hält Winand von Petersdorff folgende Gegebenheiten fest, die er dann auch kontrapunktisch zu den in Südkorea herrschenden Verhältnissen präsentiert:
  1. Fehlende Politik für weniger Geburten.
  2. Fehlende Politik für mehr Wachstum.
  3. Überbordende Bürokratie.
  4. Unzureichende Förderung des Bildungswesens und daraus folgendes niedriges Bildungsniveau.
Ad 1. schreibt der Autor: "Binnen einer Generation sank die durchschnittliche Kinderzahl je Frau von etwa 6 im Jahr 1960 auf 1,6 im Jahr 1990. Diese Politik brachte Südkorea die sogenannte demografische Dividende: Familien und der Staat mussten weniger in Kinder investieren. Dass asiatische Land profitierte aufgrund stärkerer Kapitalbildung und niedrigerer Kosten für wirtschaftlich abhängige Bevölkerungsgruppen von einem sprunghaften Anstieg des nationalen Einkommens. ... Während sich in Ägypten die Bevölkerung binnen 50 Jahren mehr als verdreifachte auf 84 Millionen [damit also in Höhe der deutschen Bevölkerungszahl], verdoppelte sie sich in Südkorea nur auf 50 Millionen. Die Folgen sind frappierend: Südkorea schafft es, seine jungen Bürger in Lohn und Brot zu bringen, in Ägypten ist die Söhne- und Töchter-Generation von Arbeits- und Perspektivlosigkeit bedroht und auf die Schattenwirtschaft zurückgeworfen."

Ad 2. "Das hybride Wirtschaftsmodell" zwischen Planwirtschaft und Wettbewerbswirtschaft, welches vor knapp 50 Jahren von Nasser in Ägypten eingeführt wurde, führte etwa dazu, dass in Kairo immer wieder Häuser zusammenbrechen, weil die Eigentümer aus den staatlicherseits verordneten Niedrigmieten nicht den für sie erforderlichen Erhaltungsaufwand finanzieren können. Und es führte dazu, dass infolge eines unzureichenden Wohnunsangebots Tausende obdachlose Menschen auf Kairos Friedhöfen kampieren müssen.

Der Autor führt in diesem Zusammenhang auch die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien an sowie das - dem Blogger hier nicht so recht passend erscheinende - Faktum, dass Großgrundbesitzer ihre Flächen zu niedrigen Festpreisen verpachten müssen. Von der ganz konsequenten Verfolgung dieser Linie seien seine Nachfolger Sadat und Mubarak zwar abgerückt, so einen sogar von der Weltbank gelobten Aufschwung im Lande herbeiführend: im Endeffekt aber lassen sich zu wenige Verbesserungen an der im Lande gegebenen Armutssituation registrieren. Aus welcher die Bevölkerung den Hauptantrieb für ihr Aufbegehren bezogen haben dürfte. Ihr gegenüber stehen die wenigen Profiteure des Sytems Nasser/Sadat/Mubarak: "Gewinner der zaghaften Liberalisierung gab es allerdings auch: Schon in den 1990er Jahren hatten politisch bestens vernetzte Familien riesige Unternehmenskonglomerationen errichtet, die zum Teil marktbeherrschende Stellung erreichten."

Ad 3.) Bevor er schildert, worauf sich das mittels der Bürokratie errichtete Herrschaftssystem weitestgehend stützt, zu der Schilderung der im Lande alles durchwaltenden Bürokratie kommt, kommentiert der Autor die Situation folgendermaßen: "Für den normalen Ägypter hat das Land geringe Auswahl bei der Karriereplanung. Am besten waren die Perspektiven in der Staatsbürokratie und im Militär. Das Regime nutzte das Werkzeug der Ämterpatronage inflationär, um Leute loyal zu halten." Dann führt er dazu im Einzelnen aus: "Finanziert wurde dieses Herrschaftssystem durch den Zufluss von ökonomischen und politischen Renditen, Einnahmen also, denen kein entsprechender Arbeits- oder Investitionsaufwand vorangegangen war. Hiezu gehören Erträge aus der Nutzung des Suezkanals, Rücküberweisungen von ägyptischen Gastarbeitern, Gewinne aus dem Export von Erdgas und Erdöl und politisch motivierte Transferzahlungen wie Entwicklungs- oder Militärhilfe.

So pumpte sich die staatliche Bürokratie so weit auf, dass jeder dritte arbeitsfähige Ägypter dort unterkam. Im Militär, das ein eigenes unkontrolliertes Geflecht an Unternehmen und Lieferanten betreibt, gibt es zumindest für Offiziere sogar die Möglichkeit, gutes Geld zu verdienen. Ein normaler Beamter hat es da schon etwas schwerer. Er beginnt in der Regel, seinen im Grunde überflüssigen Posten durch die Errichtung bürokratischer Hemmnisse zu rechtfertigen."

Wie die Bürokratie die Kosten für "ökonomisch produktives Engagement" hochtreibt und Unternehmertum erschwert und zu welchen absurd erscheinenden Konsequenzen sie führt, dies findet sich in der letzten Textspalte ausgeführt - zunächst festgemacht an einer Studie des berühmten peruanischen Ökonoms Hernan de Soto, die von der Regierung in Auftrag gegeben worden war: "In Ägypten muss sich die Person, die ein Stück staatlichen Wüstenland erwerben und registrieren lassen will, durch mindestens 77 bürokratische Prozeduren in 31 Ämtern und Agenturen winden. Das kann fünf bis 14 Jahre dauern." Immer gäbe es im Lande aber die Möglichkeit, eine Abkürzung zu wählen: über Korruption. Sie beginnt "mit Polizisten, die in der Innenstadt von Kairo begehrte Parkplätze mit Holzböcken absperren, die sie erst gegen Geld räumen, oder mit Beamten im Passamt, die zur Begrüßung auf die offene Schublade ihres Schreibtisches verweisen."

Ad 4.) Kernpunkt bei diesem Geschehen, welches sich in den vorstehend geschilderten Unzulänglichkeiten äußert, ist die Bildung. Zitat: "Analphabeten haben keine Optionen. Sie bleiben ausgeschlossen, selbst in wachsenden Volkswirtschaften, weil ihnen die Fähigkeiten fehlen, die neuen Jobs an PC, Callcenter-Telefon oder in der Chemiefabrik auszufüllen." Hinzu kommt folgender Umstand: "Ungebildete Frauen - in vielen islamisch geprägten Ländern sind Frauen die Bildungsverlierer (Ausnahme Iran) - bekommen besonders viele Kinder. ... Erstens folgt nun einmal aus schlechter Bildung Unkenntnis über Verhütungsmethoden. Zweitens liegt mangels anderer Optionen die Mutterrolle nahe, drittens beginnt das Kinderkriegen früher, wenn die Frauen keine Schule und vor allem nicht die weiterbildende Schule besuchen. Wenn sie mit 16 Jahren Mutter werden anstatt mit 22, ist dies ein folgenschwerer Unterschied - für ihre individuelle Entwicklung und für die Gesellschaft."

Der Autor geht noch weiter darauf ein, wie sich der Faktor Bildung in und für Ägypten auswirkt, skizziert aber zunächst die diesbezügliche Situation in einer Gegenüberstellung der Verhältnisse, wie sie sich in Südkorea darstellen. "Die asiatische Republik hatte [vor 50 Jahren] ungefähr genauso viele Einwohner, deren Anzahl im gleichen Tempo wuchs. Die Leute waren genauso arm wie die Ägypter, sie litten ebenso unter der Diktatur und hohen Militärausgaben. Heute ist Südkorea eine technologiegetriebene Industriemacht, die Südkoreaner sind fünfmal so reich wie die Ägypter, sie leben zehn Jahre länger, und das in einer echten Demokratie. Warum ist Ägypten nicht wie Südkorea geworden? Warum sehen so viele junge Männer keine Zukunft in ihrem Land, während in Südkorea mit 3,8 Prozent Arbeitslosenquote annähernd Vollbeschäftigung herrscht?

In einem wichtigen Datum unterscheiden sich Südkorea und Ägypten schon 1960: Damals konnten 71 Prozent der Südkoreaner lesen und schreiben, aber nur 25 Prozent der Ägypter. Heute sind die Ägypter gerade so weit wie die Koreaner vor 50 Jahren." Dieser unzulängliche Ausbildungsstand ist aber nicht nur in Ägypten virulent, auch die ganze Region leidet unter ihm - Zitat: "Selbst Königin Rania von Jordanien warnte, bis 2020 werde die Zahl der Arbeitslosen unter 30 Jahren im Nahen Osten von heute 15 Millionen auf 100 Millionen steigen."



Generelles PS: Werte/r geneigte/r Leser/in: Sofern Ihnen Form und Inhalt dieses Eintrags zusagen, sollte dessen Weitergabe oder aber gleich des Blogs via Link*** an Ihren Freundes- und Bekanntenkreis eigentlich nichts im Wege stehen. Für den Fall, dass Sie auch über die Adressen offiziöser Stellen verfügen: Geben Sie das Material ruhig auch an die weiter. Damit vielleicht der/die eine oder andere der dort Tätigen sich besinnt und nicht mehr mitmacht bei dem hierzulande weiter und weiter veranstalteten Wahnsinnstreiben. So, dass die von Politikern gepflegte, nur dem Eigeninteresse verpflichtete Verfälschung der Wirklichkeit denn doch einmal ein Ende findet und die Demokratie eine Chance bekommt, mehr zu sein als bisher - eine nur nützliche Fiktion."

***Wie ein Link zu übernehmen ist, findet sich in Post 999 dargestellt, und zwar unter PS2.

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