Freitag, 18. Februar 2011

1060 In memoriam KHALED-SAID und SALLY ZAHRAN, die gestorben sind für die Befreiung Ägyptens von ungerechter Herrschaft.

Soeben mit meinem Schwippschwager telefonisch über mein jüngstes Vorhaben in Kenntnis gesetzt, die mir zu den Vorgängen in Ägypten vorliegenden Informationen auszuwerten und daraus wieder einmal eine mehr ins Grundsätzliche hineingehende Darstellung zu stricken. Bei der Gelegenheit ließ er mich einen der jüngst in Umlauf gebrachten Witze über drei der Herrscher in arabischen Raum wissen: Da treffen sich also Nasser, Sadat und Mubarak im Himmel. Fragt der eine den anderen, wie er denn zu Tode gekommen sei. Nasser dann: er sei durch ein Medikament (Gift?) gestorben, welches bei ihm einen Herzinfarkt ausgelöst habe. Darauf Sadat: seinem Leben habe eine Kugel ein Ende gesetzt - abgefeuert von einem seiner bei einem Parademarsch vorbeidefilierenden Leibwächter. Mubarak schließlich: ihn habe Facebook erledigt.

Mit Facebook sind aber die elektronischen Kommunikationswege allgemein angesprochen - und implizit auch der Ägypter Khaled-Said. Denn der war ein Blogger, der durch seine Kommentare den Unwillen des Despoten resp. der herrschenden Clique ausgelöst habend, von zwei Polizisten in Alexandria zu Tode geprügelt worden ist. Auch dieses Datum entnimmt der hier tätig werdende Blogger wieder einmal seiner recht zuverlässigen Informationsquelle namens Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Der Name dieses mit der Fahne der Freiheit in den Händen gestorbenen Bloggers ist dann im Sommer 2010 von dem Computerexperten Wael Ghonim auf Facebook folgendermaßen online gestellt worden: "Wir sind alle Khaled-Said". Woraufhin sich überwiegend die Jugend aufgerufen gesehen hat, mehr gegen das Regime zu unternehmen. "Lasst uns feiern!", schreibt der Ägypter Chalid al-Chamissi in der FAS vom 13. d.Mts., seinem Beitrag noch den Untertitel beigebend: "Wie das Unvorstellbare geschah: Szenen aus einem glücklichen Land".

In diesem Eintrag kann dieses Freudenmoment nicht so sehr zum Tragen kommen. In seinem Rahmen erscheint es angemessener, festzuhalten, mit welcher Begeisterung die Menschen ihre ersten Schritte auf dem Terrain der Freiheit gegangen sind - dabei auch in Kauf nehmend, von den Schergen des ausbeuterischen Systems hingestreckt zu werden. Der genannte Autor schildert dazu folgende Szenen: "Sally Zahran, ein Mädchen von Anfang Zwanzig, war im Kairoer Stadtzentrum unterwegs zum Tahrir-Platz, um für ihre Zukunft zu demonstrieren. Sie träumte von einem neuen ägyptischen Filmschaffen. Sie arbeitet als Schauspielerin und entwarf als Modeschöpferin Kostüme für die Filme von Studenten der Filmakademie. Sally hatte ein bezauberndes Lächeln. Ich sehe in diesem Moment ihr Lächeln vor mir, weil ich ihr Foto als Hintergrundbild auf meinen Desktop geladen habe.

Plötzlich tauchte vor Sally ein Monster auf mit einer Keule in der Hand. Sie lächelte es an. Sie schenkte ihm ihr schönstes Lächeln, denn in ihrer Unschuld war sie davon überzeugt, dass damit die Sache erledigt sei und das Monster ihr Lächeln erwidern müsste. Doch sie wusste nicht, dass es aus einer anderen Zeit kam. Dass es an einem Ort zu Hause war, der nicht auf dieser Erde existiert, sondern tief im Erdinneren liegt. Dass es sein Leben ohne jedes Lächeln zugebracht hatte und sich von Würmern des Asphalts ernähren musste. Das Monster hob seine Keule und ließ sie mit aller Gewalt auf ihren Kopf niedersausen. Sie stürzte zu Boden. Das Monster stieß einen Triumphschrei aus und begab sich auf die Suche nach neuen Opfern. Die Monsterhorde begnügte sich aber nicht mit Sallys Tod. Sie fielen über jeden her, den sie zu fassen bekamen. Dutzende von Toten, Tausende von Verletzten waren die Folge. Alle wurden im Gesicht verletzt."

Bevor er zu der Darstellung der vorstehend wiedergegebenen Szene kommt, fängt der Autor in einer längeren Passage ein, welche Atmosphäre in den Tagen des Aufruhrs in Kairo herrschte. Und er zieht historische Parallelen zu dem Auftreten der in ihre wütenden Dumpfbacken. Die sich von der herrschende Clique hatten verdingen lassen, aus dem oft begegnenden Antrieb heraus, sich für am eigenen Leib, vor allem aber in der Psyche erfahrene Beschädigungen zu rächen. Wenn ich von anderen schon kurzgehalten worden bin und nicht habe richtig leben und entfalten können, schwebt diesen Dumpfbacken vor - wenn auch nur unbewusst und so, dass sie darauf nur noch aus einem Affekt heraus zu handeln imstande sind -, dann sollen andere diese Möglichkeit auch nicht haben, sagen sie sich. Diesen Mechanismus machen sich die Despoten, zum Teil aber auch die sich demokratisch gebenden Kräfte weltweit zunutze.

Kurzer Kameraschwenk zwischendurch: Dass solche Dumpfbacken auch hierzulande zu finden sind, dürfte jedem klar sein, der die laufend aus der rechten Szene herausgehenden Signale wahrnimmt, sich dabei immer wieder fragend, wieso eigentlich von Staats wegen bis dato so gut wie nichts unternommen worden ist, um der Angst zu wehren, die aufkommen muss, wenn man registrieren muss, dass selbst schlimmste Verletzungen staatlicherseits irgendwie billigend in Kauf genommen werden. Aber wir waren ja bei Ägypten.

Chalid al-Chamissi schreibt einleitend: "Mittwoch, 2. Februar 2011: Es war eine Szene wie aus der Mythologie. Einem Kriegsepos hätte sie entstammen können oder einem Horrorfilm, wo Zeit und Raum verschwimmen. Sie stiegen, nein - sie fielen heraus aus längst vergangenen Jahrhunderten. Aus einer Zeit, lange bevor das menschliche Gewissen sich formte. Auf den Tahrir-Platz mitten in Kairo stürzten sie herab, Abkömmlinge uralter Menschengeschlechter. Auf gewaltige Kamele waren sie gestiegen und auf Pferde, die wie durstige Bestien orientierungslos durcheinander stürmten. Sie hielten lange Messer in den Händen, solche mit scharfen Klingen wie chirurgische Instrumente zum Amputieren menschlicher Gliedmaßen. Hässliche, missgestaltete Monster wogten um die Tiere herum, bestialische Schreie auf den Lippen und in den Händen Schlagstöcke , riesengroß und vorne angespitzt......

Ein kleiner Junge, der auf dem Tahrir-Platz gerade zur Gitarre Liebeslieder anstimmte, sah sie als Erster kommen. 'Der Platz wird angegriffen!', schrie er, noch halb im Liebestaumel. So kam es zu der unglaublichen Konfrontation mit den Bestien des Mittelalters, den Dienern eines Systems, das mit der Mentalität von Gangstern und Räubern seit dreißig Jahren die Reichtümer Ägyptens systematisch ausgeplündert hatte. In diesem historischen Moment musste das System alle Kopfschleier und Masken fallen lasen und zeigte sein hässliches, sein wahres Gesicht, das wir nur zu gut kennen.

Es ist das Gesicht der mongolischen Reiterhorden, die Bagdad überrannten und als Allererstes die großartige Bibliothek von Bagdad zerstörten. Es ist gleichermaßen das Gesicht amerikanischer Soldatenhorden, die nach dem Angriff auf Bagdad nichts Eiligeres zu tun hatten, als sogleich das dortige Museum auszurauben. Um zu beweisen, dass sie ihren Vorbildern in nichts nachstanden, warfen die Schlägertrupps Molotowcocktails auf das ägyptische Museum und dessen Garten, der voll stand mit den archäologischen Schätzen unserer Vorfahren. Doch nicht nur das: Sie schleuderten auch in die Menge unschuldiger Menschen, in ein Volk, das im Herzen die Unschuld der Revolution trug und eine Menge guter Träume von einer besseren Zukunft."


Fürchte dich nicht

Die herrschenden können die schrift an der wand nicht
mehr übersehen
die beherrschten kehren sich ab vom kopfnicken
die waffenhändler wagen nicht mehr über die am boden
liegenden zu steigen
die bischöfe geben die schlüpfrigen reden auf und sagen
nein
die freunde jesu blockieren die straßen des overkill
die schulkinder erfahren die wahrheit

Woran sollen wir einen engel erkennen
außer daß er mut macht wo angst war
freude wo nicht mal mehr trauer wuchs
einspruch wo sachzwang herrschte
abrüstung wo terror glaubwürdig drohte

Fürchte dich nicht der widerstand wächst
Dorothee Sölle
Aus: Dorothee Sölle, Spiel doch von Brot und Rosen, Gedichte.
© Wolfgang Fietkau Verlag, Kleinmachnow

12. Dezember 2010




Generelles PS: Werte/r geneigte/r Leser/in: Sofern Ihnen Form und Inhalt dieses Eintrags zusagen, sollte dessen Weitergabe oder aber gleich des Blogs via Link*** an Ihren Freundes- und Bekanntenkreis eigentlich nichts im Wege stehen. Für den Fall, dass Sie auch über die Adressen offiziöser Stellen verfügen: Geben Sie das Material ruhig auch an die weiter. Damit vielleicht der/die eine oder andere der dort Tätigen sich besinnt und nicht mehr mitmacht bei dem hierzulande weiter und weiter veranstalteten Wahnsinnstreiben. So, dass die von Politikern gepflegte, nur dem Eigeninteresse verpflichtete Verfälschung der Wirklichkeit denn doch einmal ein Ende findet und die Demokratie eine Chance bekommt, mehr zu sein als bisher - eine nur nützliche Fiktion."

***Wie ein Link zu übernehmen ist, findet sich in Post 999 dargestellt, und zwar unter PS2.

Keine Kommentare: