Montag, 14. Juni 2010

752 "VATICAN spezial - Schönheit und Drama der Weltkirche"

Ein 16seitiges Sonderheft der bezeichneten Zeitschrift, in der Vorabendmesse von dem katholischen Pfarrer der hiesigen Christophorus-Gemeinde vorgestellt: Für meine Holde Anlass, erstmalig nichts in den im Gottesdienst regelmäßig herumgehenden Klingelbeutel zu tun. Der Herr Paschek hatte nämlich angekündigt, die Kollekte sei für seelsorgliche Aufgaben bestimmt. Wozu sie - wohl völlig zu Recht - die Verteilung der fraglichen Publikation rechnete.

Ich könnte nun hergehen, und das Machwerk nach allen Regeln der Kunst auseinandernehmen und den in ihm steckenden Widersinn herausarbeiten. Ich habe aber einfach keine Lust, mich etwa näher mit dem Geseiber zu beschäftigen, welches insbesondere der als Heidelberger Exeget vorgestellte Klaus Berger zu dem Thema "Das Kreuz mit dem Missbrauch - Plädoyer für eine Unterscheidung der Geister" von sich zu geben beliebt. Nur soviel: In seiner völlig unkritischen und rein apologetischen Darstellung taucht immer wieder der Satan auf, der die Kirche dadurch in Misskredit zu bringen suche, dass er die in ihr Tätigen entsprechend angeleitet habe. Dabei dann das Fernziel verfolgend, die Kirche aus der Welt verschwinden zu lassen. Zitat: "Offenbar betrifft dieser Ansturm des Teufels nur die katholische Kirche, keine andere Konfession (die haben die Presse auf ihrer Seite). Offenbar weiß der Teufel, wie sehr es gerade hier lohnt. Heiligkeit und Zölibat sind ihm ein Dorn im Auge." Und diese Heiligkeit ist es, auf der herumzureiten er nicht müde wird, dabei als Resultat festhaltend: "Die Kirche wird leicht beschädigt." Wobei er sinnigerweise noch das Wörtchen "nur" hätte einflechten müssen.

Irrtum, Herr Berger: Die Beschädigung könnte größer eigentlich kaum sein. Gerade an den Missbrauchfällen, noch mehr vielleicht sogar an der Art und Weise, wie man sie zu vertuschen sich bemühte, dokumentiert sich doch die inhaltliche Leere dessen, was von ihr immer nur rein verbal vorgetragen, nicht aber gelebt wird (ich verweise hierzu auf den zuletzt erstellten Eintrag 751).

Daran kann auch die Aussage nichts ändern "Ihr in Italien habt einen Heiligen!" - stammend von einem gewissen Joseph Magro, der nach eigenem Bekunden folgendermaßen mißbraucht worden ist: "Ein Priester [im Waisenhaus St. Joseph], Pater Pulis, kam, um mich am Morgen zu wecken, und küsste mich auf den Mund, dann masturbierte er mich. Ich konnte nicht sprechen, ich konnte mich nicht widersetzen, ich konnte nichts sagen, weil er mir drohte, mich aus dem Institut zu verweisen." Und weil der Papst ob solcher Schilderung feuchte Augen bekam, wurde er von diesem Joseph Magro in den Heiligenstand versetzt. Dass die Apologeten des Systems nur zu gerne auf dergleichen verweisen, will zwar einleuchten: äußerst dürftig und fadenscheinig bleibt eine solche Beschwörung der Qualitäten der Leitfigur in der katholischen Kirche aber nichtsdestotrotz. Diese Institution, die im Grunde den Zeitgenossen bei allen Problemen der Zeit so gut wie keinen weiterführenden Ansatz vermitteln kann, leistet doch mit der Art und Weise, wie sie gerade auch diese Angelegenheit behandelt, permanent einen geistlichen Offenbarungseid: da ist so gut wie keine Substanz, die dem Menschen resp. den guten Antrieben in ihm auf die Sprünge helfen könnte.

Und damit komme ich zu der Predigt, die ich am letzten Sonntag in der Christuskirche - gelegen an der Wennigser Neustadtstraße - bei den Baptisten hören durfte. Noch ein paar solcher Fehlleistungen, wie sie der katholische Pfarrer Paschek mit seinen mündlichen Verlautbarungen produziert - und selbst meine sich hartnäckig dem katholischen Gottesdienst verpflichtet sehende Holde wird durch das, was ich auch dazu wieder berichten konnte, in die Versuchung geraten, doch auch mal bei denen hereinzuhorchen.

Kernpunkt der Predigt war das "Gläubchen" der Heidin, die Christus in einer alle seine Begleiter in einer total nervenden Weise immer wieder anruft, er möge doch die Geister, die ihre Tochter mit Krankheit quälten, fortweisen. Der Prediger, im Rahmen der evangelischen Jugendbildung an einer Schaltstelle tätig, setzte in seinem Vortrag Stein auf Stein aufeinander, bezogen vor allem auf den Gesichtspunkt, dass und wie im Verlauf der Geschichte Anstoß genommen wird. Wichtigster Anstoßpunkt im Endeffekt der Umstand, dass eine religiös total ungebildete, also etwa mit den Regeln des Umgangs mit geweihten Dingen gänzlich unvertraute Frau hergeht und für sich in Anspruch nimmt, Gehör zu finden. Jesus aber bringt seine Wertschätzung einer solchen Beharrlichkeit und eines solchen Vertrauens zum Ausdruck, indem er sagt: "Frau, dein Glaube ist groß. Siehe, deiner Tochter wird geholfen."

Im Anschluss an die Predigt konnte ich in einem kurzen Wortwechsel mit dem Prediger darlegen, dass auch ich mich vor nunmehr vier Jahren in puncto Religionspraxis und -theorie auf einer ähnlichen Stufe befand, wie die Protagonistin dieser Heilungsgeschichte. Kirchenfern und so gut wie gebetsfrei sechzig Jahre meines Lebens verbracht habend, durfte ich dann allerdings in einer einzigen meditativen Sitzung zu nächtlicher Stunde erfahren, wie aus dem "Gläubchen" - der Prediger machte darauf aufmerksam, dass der Begriff "Kleingläubigkeit" das genaue Gegenteil dieser Einstellung markiert -, wie also aus dem Gläubchen sich etwas ungemein Heilsames ergab. Was der Papst in dem einleitend gebrachten und auch in dem folgenden signalisiert wissen will: Dass er ungemein gläubig ist. Seine Hofschranzen notieren dazu, dass er, vor über einem Jahr in der Grabkammer Jesu Christi weilend, die katholische Kirche zu ihren Ursprüngen zurückführe.

Zu deren vorgeblichem Credo - die Frage ist nämlich, ob die nicht mehr als Antichrist agiert denn dass sie etwas mit Christi Geist im Sinn hat - hier einige Zeilen, die ich in der Mai-Schlussausgabe der FAS dazu finde. Und zwar unter dem Titel "Der Mensch wird neu formatiert. Der Soziologe Dirk Baecker über Facebook als Religionsersatz, Google als Lehrmeister und die Frage, wie wir erfolgreich die mediale Überforderung überstehen". Auf die Frage "Ihr Kollege Norbert Bolz sieht darin einen Religionsersatz, geeignet zur Herstellung von 'Weltvertrauen'. Ist Facebook der neue Katechismus?" antwortet Baecker wie folgt: "Wenn man unter Katechismus ein Medium versteht, in dem man unterrichtet und unterwiesen wird, wie man in unserem Fall den Computer zu benutzen hat, ja. Immerhin wäre dies ein Katechismus, der nicht mehr von den Kirchenvätern erlassen, sondern von den Benutzern selbst geschrieben wird. Deshalb reagieren viele Beobachter ja auch so skeptisch auf das, was hier passiert. Einen Religionsersatz sehe ich darin nicht, eher schon einen Ausgangspunkt dafür, auch unsere Anforderungen an Religion zu überdenken. So wie sich die Religion mit dem Auftauchen der Sprache, der Schrift und des Buchdrucks jeweils neue Formen gegeben hat, sich vom Geisterglauben über den Monotheismus zum Seelentrost entwickelt hat, so wird sie auch jetzt neue Antworten geben müssen.

Teilhard de Chardin und sein Schüler Marshall McLuhan sahen die Zukunft des Christentums im Heiligen Geist, vermutlich weil er schneller ist als der Vater und sein Sohn.
Der weltweite Erfolg spiritualistischer Bewegungen gibt ihnen recht. Facebook und andere Medien sind kein Religionsersatz, wohl aber Medien, auf die die Religion eine Antwort finden muss. Ich würde diese Medien daher nicht nur als Ausdruck von Weltvertrauen, sondern auch als Medium der Überprüfung von Weltmisstrauen untersuchen. Was gibt man ein? Was behält man für sich? Wird man auch hier anfangen, in Zungen zu reden?"

Ich behalte nichts für mich, was mir gerade in puncto unmittelbare Rückbindung an die Transzendenz berichtenswert erscheint. Ob dabei so etwas herauskommt wie ein Reden in Zungen, kann und will ich auch weiter gar nicht beurteilen. Auf jeden Fall aber wende ich mich energisch gegen die durch keinerlei Anzeichen einer Anleitung durch den Heiligen Geist von unfähigen, nur auf ihr Image bedachten Akteuren speziell in der katholischen Szene praktizierte Deformation des Humanum im Menschen.


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