Mittwoch, 26. Januar 2011

1033 Eine grundlegende Kritik am Konzept des Marktes: "Joseph Vogl liest die Ökonomie wie einen literarischen Text und findet lauter Fiktionen: Das Gespenst des Kapitals' - ein Buch so wirksam wie ein Crash".

So lautet der Untertitel eines längeren, von dem Journalisten Mark Siemons verfassten und in der jüngsten FAS-Ausgabe (03) veröffentlichten Artikels über die in der Darstellung des Buchautors als Zirkelschluss begegnenden Begründungen für das, was die Basis für das Marktgeschehen abgeben soll. Zitat: "Wenn die gegenwärtige Wirtschaft, wie Vogl nahelegt, nur unter der Voraussetzung funktioniert, dass alle an ihre Fiktionen, ihre vermeintlichen Gesetze glauben, trägt sein Agnostizismus nicht gerade zur Stabilität bei."

Siemons führt aus, der Autor läse ökonomische Theorien nicht anders als literarische Texte und Zeugnisse fremder Kulturtechniken, auch ihre innere Logik und ihren Geltungsbereich überprüfend. Das Resultat, zu dem der Buchautor dabei gelangt, liest sich bei Siemons wie folgt: "So kann sein Blick den in sich geschlossenen Kreislauf durchbrechen, der sich zwischen Modellierung und Erklärung der wirtschaftlichen Realitäten etabliert hat. Vogl beschreibt, wie die ökonomischen Theorien die Wirtschaft mit denselben Instrumentarien analysieren, mit denen sie diese selbst entworfen haben. Diese Zirkularität hat aber offenbar dazu geführt, dass die Marktgesellschaft im allgemeinen Bewusstsein bis heute als etwas Organisches gilt, das der Natur des Menschen und seiner Gesellschaften entspricht."

Für Siemons ergibt sich eine besondere Faszination dieses Buches daraus, dass in ihm "die vermeintlich wirklichkeitsgestählten Theorien der Wirtschaft als Reich der Fiktionen erscheinen und es insbesondere auch durch seinen unterkühlten Stil im Endeffekt die Literatur als etwas erscheinen lässt, was sich folgendermaßen darstellt: "... Literatur als Beglaubigung einer Realität jenseits der Systeme und mithin als eine Kraft, die eine Lücke in die Geschlossenheit ihrer Glaubensgrundsätze zu sprengen vermag".

Konkret werden von Vogl zwei Annahmen in Frage gestellt. Einmal die der neuzeitlichen Ökonomie, die das Konzept des ökonomischen Menschen aufbaut. Zitat: "Dieses durch Begierden und Interessen definierte Wesen, das im siebzehnten Jahrhundert zum ersten Mal auftaucht, findet seinen literarischen Typus in der Romangestalt Robinson Crusoe, der weiß, dass 'die Ordnung der Welt weder gegeben noch unmöglich ist, sondern hergestellt werden muss'. Alle Gesetze und Einrichtungen haben sich fortan daran zu messen, wie sehr sie dieser Idee des Menschen entsprechen, dessen Selbstsucht der neuen Theorie nach umso mehr ungewollt zum Wohl aller gereiche, als sie nicht durch den Staat unnötig eingeschränkt ist. So ist für Vogl die Marktgesellschaft neueren Typs keineswegs organisch aus den früheren bedarfsorientierten lokalen Märkten erwachsen, sondern aus der Unterwerfung der Gesellschaft unter ein angebliches Naturgesetz. Seither fungiere 'Markt' auch nicht bloß als Beschreibungsfigur, sondern als Utopie, als 'idealbildliche Abstraktion', der sich die real existierende Wirtschaft nur mehr und mehr annähern könne."

Des Weiteren wird laut Siemons von dem Buchautor die Rolle in Frage gestellt, welche die Banknote beim Marktgeschehen in der Moderne spielt. Letzterer weist darauf hin, dass im Jahre 1797 die Bank von England von der Pflicht befreit wurde, "die 'beständige Deckung des umlaufenden Papiergelds zu garantieren'," und damit das Versprechen auf die Realisierung eines bestimmten Geldbetrages praktisch gegenstandslos geworden sei. "Damit ein solches System nicht gleich zusammenbricht, ist ein endloser Aufschub nötig, eine in eine unabsehbare Zukunft hinein verlagerte Ketten von Zahlungsversprechen. 'Die Kreditzirkulation', schließt Vogl, 'basiert auf der Paradoxie eines sich selbst garantierenden Geldes und erweist sich als Schauplatz effektiver Fiktionen oder Dichtung, auf dem der Umlauf des Scheinhaften tatsächlich zur Determinante ökonomischer Relationen gerät".

"Diese Grundkonstellation wurde in Vogls Leart in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts dann radikalisiert und zur Probe auf die Reinheit des Marktes schlechthin erhoben. Nachdem die Vereinbarung von Bretton Woods, die die Finanzmärkte am Goldstandard orientieren wollte, aufgekündigt worden war, gewann ein Manifest an Einfluss, in dem Milton Friedman forderte, die Absicherung gegen die Risiken des Marktes den Märkten selbst zu überlassen. Währungsschwankungen sollten mit Währungskontrakten abgesichert werden, Preisdifferenzen mit Wetten auf Preisdifferenzen. 'Hier werden', formuliert Vogl, 'gegenwärtige Preise für Nichtvorhandenes nach der Erwartung künftiger Preise für Nichtvorhandenes bemessen. Hier werden Preise mit Preise bezahlt'. Der Markt der entsprechenden Finanzprodukte entwickelte sich zum weltweit größten Markt überhaupt; wo der Handel mit Derivaten etwa, bei denen auf die Entwicklung von Kreditpaketen gewettet wird, Anfang der siebziger Jahre bloß ein Volumen von wenigen Millionen Dollar hatte, erreichte er hundert Milliarden im Jahr 1990 und etwa hundert Billionen zehn Jahre später - 'das Dreifache des weltweiten Umsatzes an Verbrauchsgütern', wie Vogl lakonisch vermerkt."

Hier sei nur noch hinzugefügt, dass dieser Zockerei, weil alles ja durchaus das Zeug hat, sich zu Trillionen-Höhen hin zu bewegen, im Sinne der Interessenten an solch wahnsinnigem Geschehen wohl von niemandem Grenzen gesetzt werden. Weil man sich ja in der Gesellschaft darauf verständigt hat, den "homo oeconomicus" als Leitbild zu betrachten.



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