Mittwoch, 17. August 2011

1286 "Der Hass auf die Juden entstand aus dem Neid": Götz Aly - Historiker und Buchautor - weicht von der gängigen Darstellung des Antisemitismus ab.





"Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass": so heißt das soeben auf den Markt gebrachte Buch des Autors. Den Antisemitismus in Deutschland zurückverfolgend, stellt er fest, dass um 1880 weder Rasse noch Religion hinsichtlich des Antisemitismus eine Rolle gespielt haben. "Stets ging es um Fragen der sozialen Mobilität: Wie viele Privatlehrer beschäftigen Juden für ihre Kinder? Wie viel häufiger werden sie Rechtsanwälte? Wievielmal mehr verdienen sie? Im Mittelpunkt der antijüdischen Agitation stand der Neid - diejenige Todsünde, die anders als Wollust, Völlerei oder Müßiggang keinerlei Spaß macht. Neid zerfrisst den Neider, macht ihn hässlich und gehässig."

Zuvor macht der Autor Zahlengaben, aus denen hervorgeht, inwieweit sich die christliche Mehrheit und die jüdische Minderheit insbesondere in puncto Bildung unterschieden: "Um 1900 haben deutsche Juden zehnmal so oft Abitur gemacht, zehnmal so oft studiert wie ein Durchschnittsdeutscher." Welcher Umstand nicht weiter verwundern kann, dieweil in den letzten Jahrzehnten des vorvorigen Jahrhunderts die Quote der Analphabeten bei den christlichen Deutschen sich - so jedenfalls die Auskunft der Lebenspartnerin des Bloggers nach einem Radiobericht - bei 80 % bewegt haben soll.

Aly macht darauf aufmerksam, man habe die deutsche Judenfeindschaft bis dato tautologisch erklärt: Man habe den Antisemitismus mit dem Antisemitismus begründet - wobei das Bild von der Katze, die sich selbst in den Schwanz beißt, nicht allzufern ist. Dazu stellt er weiter fest: "Es ist falsch, die Ursachen des deutschen Antisemitismus nur im sogenannten Bösen zu suchen." Zum Bösen hier eine kleine Einlage, stammend von der Autorin Nora Bossong:

Die Juden in der fraglichen Zeitspanne bezeichnet er als gescheiter und betriebsamer als die übrigen Bürger, in ihnen Modernisierungsgewinner erblickend, wie es sie später mit den Armeniern im Osmanischen Reich oder etwa auch den Tutsi in Afrika gegeben habe: auch dort seien die rückständigen Landesbewohner über die mobileren Bürger hergefallen und hätten sie umgebracht - im letzteren Fall die Hutu die Tutsi. In Deutschland hat sich, folgt man der Dartellung Alys, durch die weitaus stärker als in England einsetzende Wucht des Hochkapitalismus ein ganz besonderer Druck auf eben die rückständigen Bevölkerungsschichten ergeben.
Der Druck sei so groß gewesen, dass sie sich aus der Wahrnehmung ihrer Inferiorität heraus, die ihnen auch bei gestiegenem Bildungsgrad in der Weimarer Zeit bei konkurrierenden Auftritten immer wieder bewusst wurde, nicht anders zu helfen gewusst hätten, als sich in das Gefühl des gemeinsamen Starkseins, also in den Kollektivismus zu flüchten: "In Kollektivismus fanden alle Parteien der späten Bismarckzeit den gemeinsamen Nenner, von den Sozialdemokraten bis zu den Antisemiten. Die wirklichen Liberalen sind in Deutschland mit dem Tod des freisinnigen Reichstagsabgeordneten Ludwig Bamberger 1899 ausgestorben."

Dem Liberalismus weist Aly eine besondere Rolle zu - die er hätte wahrnehmen können, wenn man ihm denn nicht ein Ende gesetzt hätte: "Man muss sich klarmachen, was das Fatale an Bismarck war. Nicht dass er ein paar böse Worte über Polen und Juden sagte. Sondern dass er nach der Wirtschaftskrise von 1873 den ohnehin schwachen Liberalismus zerschlug. Am Ende zerstörte dann Friedrich Naumann den Restliberalismus von innen heraus, mit einem imperialistischen und zugleich volkskollektivistischen Programm. Nur Mangel an historischer Einsicht konnte dazu führen, dass die FDP ihre Parteistiftung bis heute nach Naumann benannte."

Im Weiteren kommt Aly zunächst darauf zu sprechen, dass der Bildungsrückstand in der Weimarer Zeit zwar abgenommen habe, der "Nahneid zwischen den sozialen Gruppen" aber dennoch fortbestanden habe - um dann Hitler ins Spiel zu bringen. Der habe sich durch soziale Wohltaten die Loyalität enorm vieler Deutscher gegenüber seiner "Wohlfühldiktatur" erkauft und es verstanden, deren Neid auf die jüdische Bevölkerungsminderheit für sich zu nutzen - oder richtiger: zu Nutz und Frommen der neidischen Großkopfeten, die ihn als Marionette nur allzu gerne für sich tanzen ließen. Schon in seiner 2005 erschienenen Untersuchung "Hitlers Volksstaat" hatte Aly darauf aufmerksam gemacht, dass die Nationalsozialisten die Zustimmung der Deutschen durch ihre Sozialpolitik sicherten, welche wiederum durch Raub von jüdischem Eigentum finanziert worden sei. Auch von Aly nicht so erwähnt: Der Umstand, dass die riesig froh darüber waren, den ja zuvor von ihm mit den Adjektiven 'hässlich' und 'gehässig' versehenen Neid nicht durchscheinen lassen zu müssen - insofern nämlich, als für die Öffentlichkeit der Aspekt der Minderwertigkeit der jüdischen Rasse kultiviert und hochstilisiert worden war.

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