Dienstag, 16. August 2011

1285 "Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat" - so festgestellt von Charles Moore, einem erzkonservativem Kommentator, der noch Thatcher resp. dem Thatcherismus wahre Lobeshymnen gesungen hatte.

Im Untertitel des dazu in der jüngsten FAS-Ausgabe veröffentlichten Artikels heißt es weiter - für den, der es nicht nachlesen mag, sei's gesagt: "Im bürgerlichen Lager werden die Zweifel immer größer, ob man richtig gelegen hat, ein ganzes Leben lang." Jüngst Nahrung bekommen haben solche Zweifel durch das, was sich im Moment im Schleswig-Holstein um den vorgeblich konservativ orientierten Politiker Christian von Boetticher herum abspielt - kommentiert von dem Journalisten Matthias Koch. In dem Leitartikel der HAZ-Ausgabe von heute. An das Statement von Moore anknüpfend, hat der Journalist Frank Schirrmacher vor allem einleitend einige grundsätzliche Überlegungen angestellt, die hier wegen ihrer Tragweite wortwörtlich in einem längeren Zitat wiedergegeben werden sollen.

"Ein Jahrzehnt enthemmter Finanzmarktökonomie entpuppt sich als das erfolgreichste Resozialisierungsprogramm linker Gesellschaftskritik. So abgewirtschaftet sie schien, sie ist nicht nur wieder da, sie wird auch gebraucht. Die Krise der sogenannten bürgerlichen Politik, einer Politik, die das Wort Bürgertum so gekidnappt hat wie einst der Kommunismus den Proletarier, entwickelt sich zur Selbstbewusstseinskrise des politischen Konservativismus.

Realpolitik und Pragmatismus verdecken die gähnende Leere, und die Entschuldigung, Fehler machten ja auch die anderen, ist das Pfeifen im Walde. Aber es geht heute nicht allein um falsches oder richtigen politisches Handeln. Es geht darum, dass die Praxis dieser Politik wie in einem Echtzeitexperiment nicht nur belegt, das die gegenwärtigen 'bürgerliche' Politik falsch ist, sondern, viel erstaunlicher, dass die Annahmen ihrer größten Gegner richtig sind. 'Die Stärke der Analyse der Linken', so schreibt der erzkonservative Charles Moore im 'Daily Telegraph', 'liegt darin, dass sie verstanden haben, wie die Mächtigen sich liberal-konservativer Sprache als Tarnumhang bedient haben, um sich ihre Vorteile zu sichern. 'Globalisierung' zum Beispiel sollte ursprünglich nichts anderes bedeuten als weltweiter freier Handel. Jetzt heißt es, dass Banken die Gewinne internationalen Erfolgs an sich reißen und die Verluste auf jeden Steuerzahler in jeder Nation verteilen. Die Banken kommen nur noch 'nach Hause', wenn sie kein Geld mehr haben. Dann geben unsere Regierungen ihnen neues'.

Es gibt Sätze, die sind falsch. Und es gibt Sätze, die sind richtig. Schlimm ist, wenn Sätze, die falsch waren, plötzlich richtig werden. Dann beginnen die Zweifel an der Rationalität des Ganzen. Dann beginnen die Zweifel, ob man richtig gelegen hat, ein ganzes Leben lang. Es ist historisch der Moment, wo alte Fahrensleute sich noch einmal zu Wort melden, um zu retten, was zu retten ist. Der liberale Katholik Erwin Teufel hat das mit einer hochdramatischen, aus zusammenbrechenden Glaubenssystemen überlieferten rhetorischen Figur getan: Er rede, weil er nicht mehr länger schweigen könne." Zweifel an der Rationalität des Ganzen wurden von dem Blogger schon lange vor dem Zeitpunkt angemeldet, zu dem der englische Kommentator solch harsche Kritik an dem System oder Apparat, so, wie er funktioniert, angemeldet hat. Wer auch nur etwas in diesem Blog herumstöbert, wird sich davon ganz schnell selbst überzeugen können.

Bei Schirrmacher heißt es zu dem Aspekt 'falsche Sätze' weiter: "Das politische System dient nur den Reichen? Das ist so ein linker Satz, der immer falsch schien, in England vielleicht etwas weniger falsch als im Deutschland Ludwig Erhards. Ein falscher Satz, so Moore, der nun plötzlich ein richtiger ist. " 'Denn wenn die Banken, die sich um unser Geld kümmern sollen, uns das Geld wegnehmen, es verlieren und aufgrund staatlicher Garantien dafür nicht bestraft werden, passiert etwas Schlimmes. Es zeigt sich - wie die Linke immer behauptet hat -, dass ein System, das angetreten ist, das Vorankommen von vielen zu ermöglichen, sich zu einem System pervertiert hat, das die wenigen bereichert'. So Moore. Er geht alles durch: Murdoch, von dem er sagt, dass ihn die Linke schon durchschaute, als die Rechte Populismus noch für Demokratie hielt, die Kredit- und Finanzkrise, den Rechtsbruch europäischer Regierungschefs, den Primat des ökonomischen Diskurses und schließlich die Krise der Eurozone selbst. Ein linker Propagandist, so Moore, hätte eine Satire, wie Geld die Welt regiert, nicht besser erfinden können."


Schirrmacher weist darauf hin, dass der englische Kommentator seine Statements vor den Gewaltausbrüchen in seinem Lande abgegeben hat und dass er nicht nur ein brillanter konservativer Publizist ist, sondern auch noch die offizielle Biographie über Margret Thatcher verfasst hat - ein Lebensresummee, welches allerdings erst nach deren Tod erscheinen dürfe. Gemeinsam mit dem Journalisten Matthias Koch - dessen Leitartikel im Wesentlichen die Ausführungen des für die FAS tätigen Autoren zugrundeliegen - lehnt dieser sich sehr stark an Moore an - immer wieder auf dessen Statements rekurrierend.
Zurückgreifend auf Moore zitiert Koch eine von dessen Textpassagen, die bei Schirrmacher nicht erscheint: " 'Fast alle arbeiten heute härter und leben unsicherer, damit wenige im Reichtum schwimmen'. In Deutschland tastet sich der konservative Intellektuelle Frank Schirrmacher zu der unerhörten Frage vor, ob und wie weit die politische Linke immer schon recht hatte. Rund um die Frage, was konservativ ist, beginnt eine spannende Debatte - zu der freilich Möchtegern-Konservative wie von Boetticher nichts beitragen können." Der habe sich in einem für die Financial Times Deutschland verfassten Aufsatz aufs Dozieren verlegt und dabei getönt, es gehe bei dem Begriff "konservativ" um " 'Erkennbarkeit, Berechenbarkeit, Bodenständigkeit und Klarheit'. Dies alles beruhe letztlich auf 'tradierten und christlichen Werten'." Welch alles aber ziemlich genau dem entspricht, was die Missionare mit sich herumtrugen, die früher in Südamerika bedenkenlos Menschen haben abschlachten lassen, nur um an deren Reichtümer zu gelangen.

An dieser Stelle seien die beiden Zwischenüberschriften eingeflochten, die den Leitartikel von Matthias Koch - Titel: "Was ist konservativ?" - unterteilen: "Gelingt eine Wahrung der Werte ... ..... ... jenseits des Geldverdienens?". Auf diese Frage des Journalisten hier die ganz deutliche Antwort: Nein - in der geistigen Verfassung und bei der Gemütslage, in der die Zeitgenossen sich befinden, immer nur an dieses, jenes, ein drittes oder zahlenmäßig noch höher angesiedeltes Konzept glaubend, wird sie nicht gelingen. In aller Deutlichkeit sei auch Folgendes gesagt: Das pausenlose Herausgeben von immer neuen Losungen, das Beschwören ihrer Validität und die Festlegung des Verständnisses der Zeitgenossen auf eben solche Formeln haben auch nicht eine Spur von Veränderung der Verhältnisse hin zum Besseren bewirkt. Im Gegenteil: Alles hat zu Katastrophen geführt und wird weiter zu Katastrophen führen. Wenn die Menschen nicht dazu finden, sich von solcher Gängelung freizumachen. Welche wiederum besonders gerne von der katholischen Kirche betrieben wird - entblödet sich der Papst doch beispielsweise nicht, den Jugendlichen, die zum Weltjugendtag nach Madrid kommen wollen oder werden, einen Ablass in Aussicht zu stellen. Ja, ja, der Ablass: den gab es auch schon zur Jugendzeit des Bloggers. Hatte man die vorgegebenen Gebetchen verrichtet und das Kirchengebäude verlassen, um es dann wieder zu betreten: dann hatte man sich einen Ablass eingehandelt. Wenn die Erinnerung nicht ganz trügt, sogar einen "vollkommenen Ablass" - worin auch immer die Unterscheidung zu dem einfachen Ablass gelegen haben mag. In dem Folgeeintrag 1286 eingestellt findet sich schon das folgende Material, über welches auszulassen der Blogger trotz der Warnung einer seiner Töchter vor der Gewalt der Rechten denn doch vorhat.

Bei Schirrmacher heißt es zu dem Versagen und der Unglaubwürdigkeit des bestehenden Systems mit seinen vorgeblich konservativen Ausrichtungen weiter: "Es war ja nicht so, dass der Neoliberalismus wie eine Gehirnwäsche über die Gesellschaft kam. Er bediente sich im imaginativen Depot des bürgerlichen Denkens: Freiheit, Autonomie, Selbstbestimmung bei gleichzeitiger Achtung von individuellen Werten, die Chance, zu werden, was man werden will, bei gleichzeitiger Zähmung des Staates und seiner Allmacht. Und gleichzeitig lieferte ihm die CDU ihren größten Wert aus: die Legitimation durch dei Erben Ludwig Erhards, das Versprechen, dass Globalisierung ein Evolutionsprodukt der sozialen Marktwirtschaft ist."

Zum Versagen speziell der CDU führt Schirrmacher weiter aus: "Die CDU hat ihre an die Finanzmärkte ausgeliehenen immateriellen Werte, ihre Vorstellung vom Individuum und vom Glück des Einzelnen, niemals zurückgefordert. Sie hat nicht nur keine Verantwortung für pleitegehende Banken verlangt, sie hat sich noch nicht einmal über die Verhunzung und Zertrümmerung ihrer Ideale beklagt. Entstanden ist so eine Welt des Doppel-Standards, in der aus ökonomischen Problemen unweigerlich moralische Probleme werden."

Nach einem kurzen Schlenker hin zur FDP, die "ehrlicherweise" nie eine moralische Kompetenz für sich beansprucht habe, fährt der FAS-Journalist hinsichtlich der Partei, die solch konservative Werte für sich in Anspruch nimmt, folgendermaßen fort: "Der Preis der CDU ist weit mehr als ein Wahlergebnis. Es ist die Frage, ob sie ein bürgerlicher Agendasetter ist oder ob sie das Bürgertum als seinen Wirt nur noch parasitär besetzt, aussaugt und entkräftet. Das große Versprechen an individuellen Lebensmöglichkeiten hat sich in sein Gegenteil verkehrt. Es ist Moore, der hier spricht und der einst im Thatcherismus alter Prägung die größtmögliche Erfahrung gesellschaftlicher Perfektion erblickte: " 'Ihre Chancen für einen Job, für ein eigenes Haus, eine anständige Pension, einen guten Start für ihre Kinder, werden immer kleiner. Es ist, als ob man in einem Raum lebt, der immer mehr schrumpft. Für Menschen, die nach 1940 geboren wurden, ist dies eine völlig neue Erfahrung. Wenn es noch länger so weitergeht, wird sie ziemlich schrecklich werden'."

Schirrmacher schreibt weiter: "Die CDU aber, belehnt mit einem autodidaktischen Ludwig-Erhard-Studium, sieht nicht, wer in diesen schrumpfenden Räumen sitzt: Lehrer und Hochschullehrer und Studenten, Polizisten, Ärzte, Krankenschwestern, gesellschaftliche Gruppen, die in ihrem Leben nicht auf Reichtum spekulieren, sondern in einer Gesellschaft leben wollen, wo eindeutige Standards für alle gelten, für Einzelne, für Unternehmen und für Staaten, Standards von Zuverlässigkeit, Loyalität, Kontrolle."

Unterm Strich kommt bei allem heraus - und ist so von dem Blogger schon lange erkannt worden -, dass alles, was unsereiner ständig so in die Ohren hineinposaunt wird, dass man fast einen Hörsturz (oder was auch immer) dabei erleidet, eine einzige, riesengroße Lüge ist. Derer sich die meisten Politgrößen mehr oder weniger bewusst sein dürften. Dieses geht auch aus den abschließenden Statements von Schirrmacher hervor: "Ein Bundespräsident aus dem bürgerlichen Lager, von man sich ständig fragt, warum er unbedingt Bundespräsident werden wollte, schweigt zur größten Krise Europas, als glaube er selbst schon nicht mehr an die Rede, die er dann halten muss." Ja, genau so ist es: Wulff würde nicht an seine eigene Rede glauben können, weil ihm das Verlogene an ihr einfach zu deutlich vor Augen treten müsste.

Schirrmacher erwähnt aber auch andere Politgrößen, die in der fraglichen Hinsicht nichts zu bieten haben - so Frau Schavan: "Dass Gesundheit in einer alternden Gesellschaft nicht mehr letztes Gut sein kann, weil sie nicht mehr finanzierbar sein wird - eine der großen Wertedebatten der Zukunft, die jede einzelne Familie betreffen wird, zu der man eine sich christlich nennende Partei gerne hören würde, ja hören muss : kein Wort, nichts, niemand." Und Schirrmacher listet noch weitere Missstände auf, bei denen die vorgeblich christlich Partei regungslos blieb: "Eine Ära bürgerlicher Politik sah die Deklassierung geistiger Arbeit, die schleichende Zerstörung der deutschen Universität, die ökonomische Unterhöhlung der Lehrberufe. Frau Schavan ist inexistent."

Schirrmacher gelangt zu folgendem Resummee: "Ein Bürgertum, das seine Werte und Lebensvorstellungen von den 'gierigen Wenigen' (Moore) missbraucht sieht, muss in sich selbst die Fähigkeit zu bürgerlicher Selbstkritik wiederfinden. Charles Moores Intervention zeigt, wie sie aussehen könnte." Und die des Bloggers Martin Cross hoffentlich auch.

PS: Wenn in dem folgenden Abschlusskasten schon einmal im Vorgriff auf einen noch zu verfertigenden Eintrag die Herren Heer und Hanebuth mit ihren Hells Angels erscheinen, so, um anzuzeigen, dass diese Bande sich in unseren Landen mit seiner angeblich christlich orientierten Politik weitestgehend ungehindert hat breitmachen können. Eben weil es der ausschließlich um das Scheffeln von Geld ging und geht - aus welch obskuren Quellen auch immer dieses fließen mag.

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