Der Autor leitet seine Ausführungen folgendermaßen ein: "Man isst, schläft, macht was. Daraus wird kein Zeitgenosse. Wer sich aber Zeitungen und ähnliche dem Tag gewidmete Quellen anschaut, wer sich informiert über das, was in der Welt geschieht, der kann sich vielleicht Zeitgenosse nennen. Man redet mit, hat Ansichten parat. Wenig später geht man mit den Ansichten wieder zur Arbeit. Die Bundestagswahl alle vier Jahre macht den Kohl auch nicht fett. Wahrscheinlich wird man kein historischer Mensch mehr sein können, einer, der mit sehr vielen anderen in eine entscheidende Lage gerät."
Eine solche Lage wird für 1918 verzeichnet: "Das Romangeschehen reicht vom Aufstand der Matrosen in Kiel Ende 1918 bis zur Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in Berlin Anfang 1919. Erzählt wird in einem schnellen Wechsel der Szenen. Man muss überall zugleich sein. Zahlreiche historisch verbürgte Personen treten auf, darunter Ebert, Scheidemann und Noske, der Bluthund von der SPD. Aber auch ausgedachte Figuren, in denen sich Symptomatisches, Grundlegendes sammelt und formt wie Sand in Muscheln zu Perlen."
Näher charakterisiert findet sich der Roman vor allem in den folgenden Zeilen: "Grandios komponiert er Fakten, Fiktionen, Ereignisse, Erlebnisse, Geschichte, Geschichtsphilosophie, Politik, Poesie, Diagnose und Drama, Lebenswelt und Weltanschauung. Das ist der blaue Pool, in den springen sollte, wer herausfinden möchte, wie sich das anfühlt, die Revolution, die Geschichte und man selbst mittendrin. Vor allem erfährt der Leser auf diesen über zweitausend Seiten, was es bedeutet, als historischer Mensch in die Pflicht genommen zu werden. Mit Zeitunglesen und Brötchenkauen kommt in der deutschen Revolution von 1918/19 keiner weiter." Womit der Rezensent den Bogen schlägt hin zu seinen schon recht resignativen Statements zu Anfang.
Rathgeb führt weiter aus: "Döblins monumentaler Roman 'November 1918' gehört zu der leider zahnlos gewordenen Kategorie der 'engagierten Literatur'. Die Form des welthaltigen dezisionistischen Erzählens wird durch den in den dreißiger Jahren im Pariser Exil begonnenen Roman über die gescheiterte deutsche Revolution von 1918/19 vorbildlich ausgefüllt. Doch das Lehrbuch des Handelns hat keinen Nachfolger gefunden. Es zwingt in die Parteinahme und, zugleich, in die Introspektion, es zwingt in die Ereignisse und, zugleich, in die Empathie. Jeder muss sehen, welchen Weg er geht. Der Roman ist eine letzte Totale - dank Döblins umfassendem Blick auf eine zersprungene, doch einzigartige einzige Wirklichkeit."
Etwas weiter heißt es bei Rathgeb: "Kein Dogma, keine Doktrin, nichts, was an schale Behauptungen, hölzerne Regeln, leere Pamphlete oder literarische Streitigkeiten erinnern könnte. Döblins Kunst definiert Größeres, über den Augenblick, über die Ereignisse einerseits weit hinausreichend, in den Augenblick, in das Ereignis andererseits tief hineinreichend."
Gewissermaßen hier als Resummee genommen folgende Zeilen: "Die kunstvolle Mischung verschiedener Welten, die weit über das Eigenheim Ich, Es, Über-Ich hinausreichen, hebt die Revolution aus ihren theoretischen, die Politik aus ihren pragmatischen und die Möglichkeit eines fest gefügten, auf das Vergessen des Krieges gegründeten Daseins aus ihren existentiellen Angeln. Das Leben nach dem Krieg muss radikal anders gedacht und gefühlt werden."
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