.... die dabei angesprochenen Gesichtspunkte betreffend die Lebensführung oder Daseinsgestaltung gehören einfach auf's Tapet. Auch resp. gerade im Hinblick auf das Wohlergehen der Knirpse. Weil es einfach einen Fortschritt geben muss - hin zu einem Mehr an wirklich Erfüllendem. Weil ein Paradigmenwechsel auf allen nur denkbaren Terrains ansteht. Den die meisten Zeitgenossen wohl irgendwie ahnen und den sie - klammheimlich - befürworten, zu dem etwas entschlossener sich zu stellen sie sich allerdings nicht so recht trauen. Oder den wegen der täglich ja notwendigen Verrichtungen weiter zu beachten sie keine Zeit zu haben vorgeben. Und den sie, zusammen mit dem diesen zumindest Skizzierenden, am liebsten gleich in den Orkus kehren würden. Sie mögen es mir glauben oder nicht: Die Sorge, mich mit solchem Habitus, wie einleitend angesprochen, unbeliebt zu machen, treibt mich am allerwenigsten um. Gleiches gilt für den Verdacht, ich wolle mich ja nur - so einer meiner eMail-Adressaten - als Star aufführen.
Aber nein! Ich muss mich erst einmal gar nicht um eigene Formulierungen bemühen: Ich kann, in meinem Materialfundus soeben auf die Darstellung von Hartmut Rosa zu eben dem bezeichneten Punkt stoßend, diese heranziehen, um den eigenen Standpunkt mehr zu verdeutlichen. Was nicht heißen soll, dass ich nicht in der Lage wäre, eigenständige Überlegungen zu diesem mir wichtigen Aspekt anzustellen. Hier aber erscheinen mir die Aussagen des genannten Soziologen so erhellend und dicht, dass ich glaube, darauf verzichten zu können. Obwohl ich eigentlich ganz anders angesetzt habe.
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P.M. Magazin
http://www.pm-magazin.de/de/heftartikel/artikel_id2317.htm
10/2007
P.M.-Interview [Kurzfassung]»Wenn wir nicht aussteigen, bricht das System zusammen«
Unser Leben wird immer schneller – der Grund ist ein zerstörerisches Wettbewerbsdenken. P.M.-Autor Holger Fuss sprach mit dem Soziologen Hartmut Rosa über die Gefahren der Beschleunigung für den Einzelnen und die Gesellschaft. Unser Leben wird immer schneller – der Grund ist ein zerstörerisches Wettbewerbsdenken.
P.M.: Technik, Verkehr, Kommunikation, soziale Beziehungen – alles beschleunigt sich zunehmend. Sind wir noch die Herren über unser Leben?
Rosa: Die Beschleunigung ist zu einem stahlharten kulturellen und strukturellen Mechanismus geworden. Früher regulierten sich Gesellschaften über ethische Vorgaben: Dieses darf man, jenes darf man nicht. Unsere Gesellschaft kann man dagegen als wahnsinnig frei beschreiben. Wir dürfen irgendwie alles. Glaube, was du willst! Lebe, wie du willst! Wähle, was du willst! Wir haben ganz wenige ethische Vorgaben: Unsere Anpassungszwänge bestehen heute aus Deadlines, Fristen und Zeitfenstern. Wir müssen andauernd irgendwelche Möglichkeiten ergreifen, ausnutzen und vermehren. Einerseits können wir viel machen, ehe wir sterben – uns immer wieder neu erfinden. Doch es gibt auch das Getriebensein, das Gefühl der Überforderung, die Angst, abgehängt zu werden. Hier wird nicht mehr durch Ethik reguliert, sondern durch die Logik des Wettbewerbs. Mithin durch die Logik des Kapitals.
Diese Wettbewerbslogik ist nicht allein eine ökonomische Logik. Sie durchzieht alle Lebensbereiche. Denn in unserer Gesellschaft sind Güter, Privilegien, Positionen, Status und Anerkennung wettbewerbsförmig verteilt. Aber es geht doch überall ums Geld! Natürlich geht es darum – aber vor allem geht es um Privilegien. Wir konkurrieren beispielsweise auch in den persönlichen Beziehungen um Freunde und Ehepartner. Niemand legt sich mehr fest. Jeder guckt, dass er den bestmöglichen Lebenspartner findet – deshalb sprechen wir zu Recht von einem Beziehungsmarkt.
Mit Freunden ist es oft ähnlich. Bei Schülern können Sie beobachten, wie wichtig es ist, wer neben wem im Klassenraum sitzen darf. Oder am Wochenende: Wer ruft wen an? Das ist bei Schülern wie bei Erwachsenen. Überall stecken wir in sozialen Beziehungen, in denen wir mit anderen und um andere konkurrieren. Auch das bringt diese unglaubliche Dynamik hinein. Denn immer dann, wenn ich etwas erreicht habe, wenn ich Freunde habe oder einen Ehepartner, muss ich permanent dafür sorgen, dass diese Menschen auch bei der Stange bleiben. Wenn ich mich nicht als attraktiv, interessant oder gebildet erweise, dann hauen die wieder ab. In Sendungen wie »Deutschland sucht den Superstar« scheinen junge Menschen eine verzweifelte Form der Existenzvergewisserung zu betreiben.
Autor(in): Das Gespräch führte Holger Fuss
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Das Beschleunigungsregime - Warum wir in einer veloziferischen Aera leben.
Hartmut Rosa:Manchmal fragen mich die Leute nach Vortraegen, ob mein Interesse fuer Beschleunigung mit meinem hohen Redetempo zusammenhaengt. Ich antworte dann meistens, dass ich da eher eine Verbindung zu meinem langsamen Essenstempo sehe: Da ich sehr langsam esse, bin ich am Tisch meistens der Letzte, was dazu fuehrt, dass die anderen unruhig auf den Tisch trommeln und mich unter Beschleunigungsdruck setzen. Aber wirklich angefangen, mich fuer Beschleunigung zu interessieren, habe ich, als ich ueber ein Oedoen von Horvath zugeschriebenes Bonmot nachdachte, das da lautet: >EIGENTLICH BIN ICH GANZ ANDERS, NUR KOMM' ICH SO SELTEN DAZU<.
Das traf irgendwie genau meine Lebenserfahrung: Man hetzt von Termin zu Termin, mal privat, mal beruflich, und hat dabei das Gefuehl, nie zu den Dingen zu kommen, die einem wirklich wichtig sind. Und da wollte ich eben wissen, ob das an mir selbst liegt, ob ich also etwas falsch mache, oder ob man auf diese Weise einem Strukturproblem moderner Gesellschaften auf die Spur kommt. Und siehe da - je laenger ich darueber nachgruebelte und nachforschte, um so klarer zeigte sich: Das Problem ist sozusagen in die Wurzeln der Moderne eingelassen.
Vielleicht wird uns die Zeit in der Moderne so knapp, weil diese Moderne eine panische Reaktion auf die Gewissheit unseres Todes ist, wie manche Kulturhistoriker meinen, die sie auf die Zeit der schwarzen Pest zurueckfuehren: In einer saekularen Gesellschaft, die kaum Hoffnungen auf ein Leben nach dem Tod setzt, bildet Beschleunigung gewissermassen einen Ersatz fuer Vorstellungen vom ewigen Leben. Zwar muessen wir nach 70 oder 80 Jahren definitiv sterben, aber wir koennen das, was wir in einem Leben an >Welt<>Beschleunigung<>veloziferischen<>auf dem Laufenden<>auf dem Laufenden<>rasendem Stillstand<>Endzeitstimmung<>Generation <>timing<>ASAP<-floskel span="" style="font-weight: bold;" versehen:="">As soon as possible.-floskel>
Wenn ich aber sowieso mit allem, was ich tue, immer schon zu spaet dran bin, hat es auch keinen Sinn mehr, mir ueber das richtige Timing Gedanken zu machen. Das groesste Problem, das sich daraus ergibt, liegt darin, dass wir gezwungen sind, stets das Dringende oder das Dringendste zu tun, weshalb wir fuer alles, was wichtig ist, aber nicht mit einer Deadline versehen ist, keine Zeit mehr uebrig haben. Dem wenden wir uns erst zu, wenn es ebenfalls dringend geworden ist, weil wir es zu lange uebersehen haben - und dann kann es zu spaet sein.
Uebrigens bin ich der Ansicht, dass die seit 1990 gravierend erhoehten Veraenderungsraten der sozialen und technologischen Welt dazu gefuehrt haben, dass unser Begriff der >Dynamischen Entwicklung<>rasenden Stillstandes<. Ich selbst bin, so glaube ich, mein bestes Anschauungsbeispiel fuer Beschleunigungszwaenge. Ich mache viel zu viele Dinge gleichzeitig, bin hochmobil und staendig unter Zeitdruck - paradoxerweise nicht zuletzt deshalb, weil das Interesse am Beschleunigungsthema und meinem Buch so hoch ist. Aber auf der anderen Seite habe ich herausgefunden, dass Beharrlichkeit - also die Gegenstrategie zur stetigen Veraenderung - im Leben absolut wichtig ist und einen entscheidenden Gegenpol zur Dynamik bildet. Menschen brauchen etwas, woran sie im Sturm der Zeit festhalten. Deshalb behalte ich stur meinen Wohnsitz im kleinen Schwarzwalddorf, fuer das ich mich vielfaeltig engagiere und ich halte an vielen kleinen >Entschleunigungspraktiken
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Hartmut Rosa
Wir wissen nicht mehr, was wir alles haben«
© DIE ZEIT, 19.12.2007 Nr. 52
Warum kluge Hedonisten den Verzicht üben - und warum nur Entschleunigung den Blick für das Wesentliche schärft. Ein Gespräch mit dem Soziologen Hartmut Rosa
© photocase
DIE ZEIT: Die Welt beschleunigt sich mit jedem Tag. Was ist daran schlimm?
Hartmut Rosa: Beschleunigung ist nicht an und für sich schon schädlich. Unsere Verarbeitungsfähigkeit hat Grenzen, aber diese Grenzen sind elastisch. Immer wieder in der Geschichte glaubte man, die Grenze sei erreicht. Als die Eisenbahn erfunden wurde, wurde behauptet, eine Geschwindigkeit über 30 Kilometer pro Stunde führe zu Gehirnerweichung. Doch jedes Mal hat sich der Mensch bisher als anpassungsfähiger erwiesen als erwartet. Dennoch glaube ich, dass wir jetzt in den spätmodernen Gesellschaften in verschiedenen sozialen Bereichen Geschwindigkeiten erreicht haben, die schädlich für uns sind.
ZEIT: Woran erkennen wir, dass die Grenze überschritten ist?
Rosa: Das erkennt man an den Schnittstellen von Systemen. Eine Grenze ist überschritten, wenn ich zwei Prozesse, die ineinandergreifen, so beschleunige, dass der eine nicht mehr mithalten kann. Wenn ich also zum Beispiel Rohstoffe schneller verbrauche, als sie nachwachsen können. Oder wenn ich Giftstoffe produziere, die nicht schnell genug verarbeitet und abgebaut werden können. Das kann man auch auf Menschen übertragen: Wenn ich sie so schnell mit Innovationen bombardiere, dass sie die nicht mehr verarbeiten können, dann haben wir ein Problem.
ZEIT: Aber die Lösung des Problems könnte doch heißen: Der Mensch muss schneller werden, nicht die Welt langsamer.
Rosa: Wir beschleunigen uns ja. Es entstehen im Augenblick neue Fähigkeiten des Multitasking, das heißt, wir können viel mehr auf einmal erledigen als früher. Junge Menschen sind in der Lage, zwei völlig verschiedene Dinge gleichzeitig zu tun. Zum Beispiel zu telefonieren und einen Aufsatz zu schreiben.
ZEIT: Was ist daran verwerflich?
Rosa: Zunächst heißt das nur: Wir ändern uns. Das passiert sowieso. Die Frage ist nur: Wie weit wollen wir uns ändern? Und wohin? Nichts wird uns daran hindern, uns irgendwann Chips ins Gehirn einzubauen. Aber wollen wir unsere Gehirne mit Mikrochips ausstatten? Alle weisen das heute von sich. Aber wenn das erst mal einige tun, dann werden die anderen gezwungen sein nachzuziehen, um Konkurrenznachteile auszuschließen. Gute Jobs gibt es dann nur noch mit Chip. Was da verloren geht, ist das Grundversprechen der Moderne, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Das muss man sagen: Die Beschleunigung untergräbt unsere Ideale von Selbstbestimmung.
ZEIT: Vielleicht müssen wir unsere Ideale verändern. Der zukünftige Mensch ist nicht mehr der autonome, sondern der flexible Mensch.
Rosa: Natürlich, niemand sagt, dass unser altes Weltbild Bestand haben muss. Aber ich würde nicht aufhören, seinen Untergang zu kritisieren. Ich habe bestimmte Wertvorstellungen davon, wie ein menschliches Leben aussehen könnte.
ZEIT: Und was spricht dagegen, dass sich dieses Leben dem Wettbewerb um Konkurrenzvorteile weiter anpasst? Das hat es doch immer getan.
Rosa: Ja. Aber der flexible Mensch funktioniert nicht. Aus zwei Gründen. Wenn alle flexibel werden, haben wir keine Gesellschaft mehr. Heute haben wir flexible Eliten, die auf stabile Hintergrundbedingungen treffen. Das geht. Aber wenn alle flexibel sind, wenn alle jetten, geht nichts mehr. Dann haben wir rasenden Stillstand.
ZEIT: Dennoch steuern wir genau darauf zu. Wie ist das denn möglich, dass wir unseren eigenen Bedürfnissen aus freien Stücken entgegenarbeiten? Oder gibt es das vielleicht gar nicht: die echten menschlichen Bedürfnisse?
Rosa: Das ist eine komplizierte Frage. Ich habe große Sympathie für die Idee von den falschen Bedürfnissen, die im Menschen erzeugt werden.
ZEIT: Das ist die alte linke Kritik am Konsumkapitalismus: Der Kapitalismus erzeugt unechte Bedürfnisse, um seinen Kram zu verkaufen und Profit zu machen. Was war daran falsch?
Rosa: Wir sagen heute: Die echten, die authentischen Bedürfnisse des Menschen gibt es nicht. Aber ich brauche keine Gewissheit über die echten Bedürfnisse des Menschen, um die entfesselte Beschleunigungslogik zu kritisieren. Sollten wir uns denn bis in alle Ewigkeit von der Beschleunigungslogik diktieren lassen, wie wir leben wollen?
ZEIT: Vielleicht ja, sonst säßen wir hier nicht auf diesem schönen Campus in dieser Glaspalastwelt, von der wir alle profitieren.
Rosa: Immer die Glaspalastwelt, die Fortschrittsidee. Das Versprechen des Reichtums und des technischen Fortschritts war, uns frei zu machen, so zu leben, wie wir wollen. Wenn wir uns aber ständig ändern müssen, um uns den selbst geschaffenen Zwängen anzupassen, ist dieses Versprechen pervertiert. Dann leben wir nicht mehr, wie wir wollen, sondern wie eine von uns selbst in Gang gesetzte Maschine es erzwingt.
ZEIT: Wer zwingt uns dazu?
Rosa: Niemand. Wir sind nicht nur die Opfer der Zwänge. Wir genießen das auch.
ZEIT: Die beschleunigte Welt hat doch ungeheuer viel zu bieten. Einen Luxus wie heute hat es noch nie für so viele Menschen gegeben.
Rosa: Aber der Preis dafür ist ungeheuer hoch. Ein anderes Beispiel: Der Kampf um Anerkennung ist wahrscheinlich ein menschliches Grundbedürfnis. In der ständischen Gesellschaft war Anerkennung stabil verteilt. Heute ist der Kampf um Anerkennung auf Dauer geschaltet. Eine Einschaltquote, eine Auflage, ein Wachstum, das erreicht ist, muss sofort überboten werden. Daraus entsteht Angst: nicht mehr mithalten zu können, abgehängt zu werden.
ZEIT: Der stabile Hintergrund des Menschen, das war einmal die Familie. Muss die sich auch flexibilisieren, um noch mithalten zu können?
Rosa: Darüber streitet man sich. Ich glaube, dass eine Gesellschaft, die sich radikal flexibilisiert und beschleunigt, letztlich verliert. Große Leistungen in allen Bereichen entstehen, wenn Menschen nicht flexibel sind, sondern an etwas festhalten, weil es ihnen wichtig ist. Wer flexibel ist, hat keine Ziele mehr. Er ist ein Wellenreiter.
ZEIT: Die Beschleunigung zerstört die Familie. Eltern, die in der Leistungsgesellschaft mithalten müssen oder wollen, haben für ihre Kinder abends noch 30 bis 60 Minuten Zeit.
Rosa: Die Beschleunigungsdynamik der Gesellschaft erodiert die emotionale Basis der Familie, die kollektive Familienzeit. Das stimmt. Hinzu kommt noch etwas: Jeder Tag ist anders, das zerstört gemeinsame Familienräume.
ZEIT: In der Familienzeit, die übrig bleibt, muss man maximale emotionale Profite in kürzester Zeit erwirtschaften.
Rosa: Daran sieht man, dass die Effizienzlogik nicht mehr nur eine ökonomische Logik ist. Sie ist auch eine Logik unserer Lebensführung.
ZEIT: Und erfunden haben wir das alles, um glücklich zu werden.
Rosa: Deswegen müssen wir fragen: Was sind die Bedingungen, unter denen Menschen ihr Leben als erfüllt und glücklich erfahren?
ZEIT: Das setzt aber voraus, dass Menschen in der Lage sind, zu sagen, wann sie glücklich und wann sie unglücklich sind.
Rosa: Sie können sagen, wie sie sich bei bestimmten Tätigkeiten fühlen. Viele Menschen berichten zum Beispiel, dass sie nie zu dem kommen, was ihnen wirklich wichtig ist. Wie stellt sich dieses Gefühl ein? Wir sparen doch ständig Zeit durch die Beschleunigung. Warum nutzen wir sie nicht, sondern sehen stattdessen lieber fern? Und zwar im Durchschnitt volle dreieinhalb Stunden am Tag.
ZEIT: Wo ist das Problem? Lassen Sie die Leute doch fernsehen.
Rosa: Das Problem ist, dass Menschen sich bei selbstbestimmten Aktivitäten nachweislich am wohlsten fühlen. Wenn sie denen aber nicht nachgehen, ist das ein strukturelles Unglück.
ZEIT: Wir machen uns mit Absicht unglücklich?
Rosa: Fernsehen macht niemanden glücklich. Man fühlt sich nicht gut währenddessen und auch danach nicht. Dazu gibt es Studien.
ZEIT: Jeder weiß doch, wo der Abstellknopf ist.
Rosa: Es bedarf großer psychischer Energie, diesen Knopf zu finden.
ZEIT: Wir tun etwas, was uns nicht gefällt, weil wir keine Energie haben, es nicht zu tun?
Rosa: Das ist kompliziert. Wir versuchen Energie zu sparen. Fernsehen verlangt wenig Energie, keine Vorbereitung. Ich schalte ein und werde stimuliert. Wenn ich Geige spiele, dauert das länger und ist mühsamer. Langfristige Energie-Investitionen erscheinen uns irrtümlicherweise unrentabel.
ZEIT: Fernsehen als Energiesparprogramm?
Rosa: Das scheint ein biologisches Prinzip zu sein.
ZEIT: Ist kurzfristige Bedürfnisbefriedigung generell falsch? Wenn ich mir wieder etwas kaufe auf dem Weg ins Büro? Alles nur Energiesparprogramm, um nicht zu viel Kraft ins echte Glück investieren zu müssen?
Rosa: Wir alle kaufen immer mehr. Es gibt kaum jemand, der nicht zwanghaft konsumiert. Ich auch. Ich kaufe zwanghaft CDs. Bei anderen sind es Klamotten, Schuhe, Brillen. Viele Männer, die behaupten, immun zu sein, kaufen sich ständig neue Bohrer oder Schraubenzieher. In immer kürzeren Abständen brauchen wir mehr davon, weil uns das alles nicht genug befriedigt.
ZEIT: Hält die Befriedigung immer kürzer?
Rosa: Ich glaube, ja. So eine CD befriedigt mich keinen Tag mehr. Manchmal habe ich nicht mal mehr Lust, das Ding zu Hause auszupacken. Das ist die Logik des Systems.
ZEIT: Wovon hängt die Dauer der Befriedigung ab? Ein Bohrer drei Minuten, ein Porsche drei Wochen?
Rosa: Ungefähr. Je mehr ich mir kaufen kann, umso kürzer hält die Befriedigung. Der Kapitalismus kann nur so funktionieren. Wir müssen von dem, was wir gekauft haben, enttäuscht werden. Allerdings auch nicht so tief, dass wir aus der Konsumwelt aussteigen.
ZEIT: Und ewig lockt die Hoffnung, von der nächsten CD, dem nächsten Täschchen nicht mehr enttäuscht zu werden?
Rosa: Als ich jung war, dachte ich immer: Diese eine CD brauche ich noch, dann habe ich endlich das Ultimative, dann ist meine Sammlung komplett. Dem Heimwerker fehlt immer ausgerechnet noch diese Hobelbank, dann hat er eine Vollständigkeit erreicht. Die wird aber nie erreicht. Wir wissen am Ende gar nicht mehr, was wir alles haben.
ZEIT: Die marxistische Konsumkritik hat behauptet: Wir lassen uns vom Schein der Waren verführen. Diese Kritik hat übersehen, dass wir Waren wirklich genießen können. Essen, Reisen, schöne Kleider, das ist wirkliche Lust, nicht scheinbare.
Rosa: Diese Befriedigung gibt es. Aber ihre Dauer und vor allem ihre Tiefe nimmt ständig ab. Auch kaufe ich häufig nur, um meine Optionen zu erweitern. Eine Kamera, die mehr Handlungsspielräume eröffnet als die alte. Ein superschneller Internetanschluss, der mehr ermöglicht als der alte. Aber warum ist Optionensteigerung interessant? Habe ich ein Ziel, für das ich diese technischen Handlungsspielräume benötige? Das ist selten der Fall. Die Ausstattung hat uns überholt. Die Waren bleiben uns fremd. Wir eignen sie uns nicht an.
ZEIT: Rilke hat das schon vor rund hundert Jahren betrauert. Er glaubte: »Noch für unsere Großeltern war fast jedes Ding ein Gefäß, in dem sie Menschliches vorfanden und Menschliches hinzusparten.« Die Waren in seiner Lebenszeit schienen ihm bloße »Lebens-Attrappen« zu sein, »leere, gleichgültige Dinge«.
Rosa: Er spricht von Entfremdung. Aber in einem irrt er. Es sind nicht die Dinge, die sich entfremdet haben, vielmehr macht die Art, wie wir mit ihnen umgehen, sie uns fremd. Man müsste sich die Dinge wieder aneignen. Sie müssen ein Teil von uns werden. Marx hat gesagt, dass wir durch Produktion auch die Seele bilden. Wir steigern den inneren Menschen. Das ist nicht falsch. Heute steigern wir nur noch den äußeren Stoff. Wir haben super Geräte. Aber sie bedeuten uns nichts.
ZEIT: Soll ich das meiner lieben Tante Gitti sagen, die seit Monaten für die Kinder Weihnachtsgeschenke kauft, weil sie so gerne Freude macht?
Rosa: Aber wo ist die Anverwandlung, Tante Gitti? Es gibt keine mehr.
ZEIT: Aber sie meint es doch wirklich gut. Das ist doch tragisch.
Rosa: Ja, es ist tragisch für uns Menschen, aber nötig für die Wirtschaft. Nur so funktioniert sie. Wir wollen doch Wachstum. Immer mehr vom Gleichen. Das ist individuell tragisch, kollektiv gut.
ZEIT: Was soll Tante Gitti tun?
Rosa: Zeit nicht mehr mit Gütern ersetzen. Zeit schenken. Menschliche Beziehungen schenken. Das meinte Rilke sicher auch: Wir haben viele Erlebnisse, aber keine Erfahrungen. Die Erlebnisse müssen sich in uns aufbauen, sie müssen sich mit unserem Leben verknüpfen. Wir sollten uns Erfahrungen schenken. Geschenke müssen an die Identität des Menschen rühren.
ZEIT: Und was soll die Menschheit tun?
Rosa: Unser Problem ist nicht, dass wir in der Moderne keine Antworten mehr haben. Das Problem ist, dass wir uns die Fragen gar nicht mehr stellen. Bisher können wir uns noch immer eher das Ende der Welt vorstellen als eine Alternative zum kapitalistischen System. Aber wir müssen die Alternative nicht kennen: Wir müssen das Ding erst mal anhalten.
ZEIT: Und wenn wir nicht anhalten, fahren wir gegen die Wand?
Rosa: Vor ein paar Jahren hätte ich noch gesagt, das fährt an die Wand. Aber ich sehe neue Tendenzen. Es gibt eine Kulturelite, die den Fernseher abgeschafft hat. Es gibt eine Elite von Jugendlichen, die bewusst Technikverweigerung betreibt. Sie haben keine Lust mehr. Es gibt Aussteiger aus dem totalen Steigerungswahn.
ZEIT: Askese, nicht aus Lustfeindlichkeit, sondern aus Unlust am Überfluss?
Rosa: Der kluge Hedonist kommt gar nicht umhin, an vielen Stellen in seinem Leben Konsumverzicht zu leben. Wir sind am Rande der Erschöpfung und am Rande des Sinnvollen.
ZEIT: Früher hieß es: Übe Konsumverzicht, um die Welt zu retten! Heute übt man Konsumverzicht, um sich selbst zu retten?
Rosa: Die alte Idee des Bildungs- und Entwicklungsromans, sich mehr zu bilden und zu entfalten, erreicht man nicht durch mehr Konsum, sondern durch weniger Konsum.
ZEIT: »Die Entschleunigung«, schreiben Sie in Ihrem Buch, »könnte die mächtigste Gegenideologie des 21. Jahrhunderts werden.« Ist das ein Aufruf zum Ausstieg?
Rosa: Ich sehe nirgends eine Gegenutopie. Es gibt viele Zwangsentschleunigte. Aber ich sehe nicht den kulturellen Gegentrend, der daraus eine tragfähige neue Gesellschaftsform macht. Meine Idee ist nicht der individuelle Ausstieg, sondern ein politisches Programm, das auf Entschleunigung zielt. Die Möglichkeit, ein erfülltes Leben führen zu können, hängt von sozialen Kontexten ab. Wenn die falsch sind, dann gibt es keine billige Lösung. Es geht nicht darum, weniger vom Falschen zu machen. Sondern endlich das Richtige. Hartmut Rosa, geboren 1965, ist Professor für allgemeine und theoretische Soziologie in Jena und Gastprofessor an der New School University in New York. Im Suhrkamp Verlag erschien sein Buch »Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne«
Das Gespräch führte Iris Radisch
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Soziologie
Atemlos
Nicht Geld, nicht Macht, sondern Beschleunigung regiert die Welt. Der Soziologe Hartmut Rosa hat mit seiner Untersuchung der Zeit eine monumentale Theorie der Moderne vorgelegt
Von Thomas Assheuer
Die Zeit ist aus den Fugen. Sie rast und steht still. Je mehr Zeit wir gewinnen, desto schneller zerrinnt sie uns zwischen den Fingern. Wir stürzen nach vorn und kommen immer zu spät. Alles wird schneller, und früher war es besser.
Solche Zeitkritik gehört zum Lieferumfang des zeitgenössischen Weltbildes und kommt uns geschwind über die Lippen. Entsprechend gibt es Zeittheorien und Bremshilfen wie Sand am Meer, doch viele verlieren sich im Detail. Andere sind zwar profund, aber einseitig. Was bislang fehlte, war eine soziologische Gesamtsicht, die systematische Einbettung von Zeit und Beschleunigung in eine Theorie der Moderne.
Diese Gesamtsicht liegt nun vor.
Sie stammt von dem in Jena lehrenden Soziologen Hartmut Rosa, und ihr Anspruch ist gewaltig, monumental und erschöpfend. Rosa behauptet nämlich, er halte den Schlüssel in der Hand, um zu erklären, warum wir so leben, wie wir leben. Denn weder Geld noch Macht seien die Fürsten dieser Welt. Vielmehr sei es die »stumme normative Gewalt« der Beschleunigung, die unsere Zeit im Innersten zusammenhält und alles Leben bestimmt. Wer vor der kinetischen Macht die Augen verschließe, habe von der Moderne gar nichts begriffen.
Zugegeben, das ist erst einmal eine leere Behauptung. Doch hat der Leser das steile Vorgebirge der methodologischen Einleitung überwunden, kommt es knüppeldick, und er kann sich vor Anschauung kaum retten. Rosa bemüht unzählige Studien, die belegen, wie sehr sich Zeitwahrnehmung und Temporalstrukturen beschleunigen, wie Unruhe und Zeitnot wachsen, Vergangenheit verdämmert, Gegenwart schrumpft und Zukunft schwindet.
Konnten die Menschen der »klassischen Moderne« noch halbwegs das Gefühl haben, ihre Identität in einer gerichteten Zeit stabilisieren zu können, so geht heute die Balance zwischen Beharrung und Beschleunigung verloren. Es ist die Zeit selbst, die sich »entzeitlicht«, was für Rosa heißt: Wir entscheiden nicht mehr im Licht zeitstabiler Werte, sondern bestimmen unsere Handlungsziele im Vollzug der Handlung, also in der Zeit selbst.
Unter dem Druck der Frist »löschen wir ständig Feuer«, machen Dinge gleichzeitig, beschleunigen die Partnersuche durch »fast dating« und steigern die »Erlebnisdichte pro Zeiteinheit«. Mögen wir dabei auch an Zeitsouveränität gewinnen, so haben wir doch stets das Gefühl, auf rutschenden Abhängen zu leben, das wahre Leben zu versäumen und Dinge zu tun, die wir gar nicht wollen. Im Extremfall flüchten wir uns in die Depression, in die Pathologie der Zeit.
Längst ist ein neuer Sozialcharakter entstanden, der Spieler und Drifter. Weil er nicht wissen kann, was morgen sein wird, hält er sich alle Optionen offen. Er scheut Bindungen und Dauer, entscheidet situativ und stets in letzter Minute, wie auf dem Börsenparkett. Je gleichgültiger die Inhalte, desto schneller kann er sich anpassen. Die Steigerung von Optionen und Wettbewerbsfähigkeit (»bis in die Liebe«) ersetzt »die auf ein Lebensziel gerichtete Lebensführung«.
Sollte sich der Spieler dennoch auf einer moralischen Landkarte orientieren, dann wechselt er sie ständig. Kurzum, soziale Beschleunigung untergräbt Identitäten und macht die Rede vom Lebensentwurf anachronistisch. »Man ist nicht Bäcker, sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Bäcker, man ist nicht Ehemann von Y, sondern lebt mit Y zusammen, man ist nicht Münchner und Konservativer, sondern wohnt (für die nächsten Jahre) in München und wählt konservativ.«
Dass Beschleunigungsdruck den Charakter verdirbt, ist für Soziologen eine Binsenweisheit. Überraschend dagegen ist die mit spekulativem Schwung vorgetragene These, der neue Spielertyp passe haargenau ins alte Weltbild. Das Urtrauma der Moderne sei die Panik vor dem größten aller »Optionenvernichter«, dem Tod, und indem sie unter faustischem Zwang alle Möglichkeiten maximal ausschöpfe, schaffe die Moderne sich einen säkularen Ewigkeitsersatz. Dies allerdings vergeblich. Denn dieselbe Technik, die uns dabei hilft, erzeugt zugleich neue Optionen, sodass »der Ausschöpfungsgrad beständig abnimmt«. Hinterrücks spielt das kulturelle Weltbild der technischen Beschleunigung in die Hände. Es verlangsamt nicht, sondern ist Teil der »Akzelerationsdynamik«.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Rosa sucht nicht nach einem allein schuldigen Haupttäter für soziale Beschleunigung. In einer originellen Kombinationen unterschiedlicher Theorien konstruiert er einen Zirkel, dessen Einzelteile feingliedrig ineinander greifen. Zweifellos kommt der kapitalistischen Wirtschaftsform dabei eine Schlüsselrolle zu, denn sie verwandelt Zeit in Geld. Anders gesagt: Im Kapitalismus greifen Wachstums- und Beschleunigungszwang ineinander. Was wir in der Produktion an Zeit gewinnen, müssen wir im Konsum wieder ausgegeben – das gesteigerte Produktionstempo hat »ökonomisch zwingend« eine »Erhöhung der Konsumtionsakte zur Folge«.
Weil der Bedarf weitgehend gedeckt und der Markt gesättigt ist, dreht die Produktion leer und wird zum Selbstzweck. Die ethischen Ziele des Wirtschaftens gehen verloren, eine erpresserische Sachzwanglogik tritt an ihre Stelle. Wir produzieren für die Produktion, während uns die gesparte Zeit als Arbeitslosigkeit heimgezahlt wird. Oder frei nach Max Weber: Der kapitalistische Geist ist tot, sein Gehäuse stahlhart geworden.
Wer nun glaubt, Rosa würde am Ende seiner gelehrten Studie eine Atempause einlegen und dem Leser einen Notausgang aus dem Tempodrom weisen, der wird enttäuscht. Es gibt für ihn diesen Weg nicht, denn wer sich auf eine Zeitinsel flüchte, der finde nie zurück. Auch wenn er es so nicht sagt: Die Zeit zeitigt das Sein; sie ist das Subjekt der Gegenwart und handelt hinter dem Rücken der Menschen. Provozierend spricht er von der unumkehrbaren »Spätmoderne«, während die Zeit der klassischen Moderne ablaufe und sich deren ordnungspolitische Sicherungen, die bereits eine Reaktion auf die Beschleunigung darstellten, auflösten. Lange Zeit bildete der »langsame« Nationalstaat das stabile Flussbett, um den reißenden Strom der Beschleunigung zu kanalisieren und zu bändigen – seine Statik war paradoxerweise die Bedingung für das Dynamische.
Seit 1989, seit dem Sieg des Kapitalismus, ist es damit vorbei. Seitdem erscheinen Nationalstaaten (und ihre Parlamente) als Hemmschuh der globalen Beschleunigung – hoffnungslos überfordert, die Ströme aus Geld, Waren und Informationen zu synchronisieren. Von diesem Befund scheint der Autor, der sonst vorzugsweise konservative Denker in den Zeugenstand komplimentiert, selbst verblüfft zu sein, denn nichts anderes hatte Karl Marx auch behauptet: Die Produktivkräfte sprengen die (Produktions-)Verhältnisse und lassen alles Stehende und Ständische verdampfen.
Damit geht für Rosa das Projekt der Moderne insgesamt zu Ende, denn es rechnete noch mit der gerichteten Zeit. Tatsächlich »verzeitlicht« sich die Geschichtszeit zur richtungslosen Dynamik und macht die Idee des Fortschritts zur Reminiszenz. Wir leben im Zeitalter des simultanen Nebeneinanders von Despotie und Demokratie, Staatenbildung und Staatenzerfall, Kolonisierung und Entkolonisierung. Dass ein neues »Equilibrium« gelingt oder nur ein Abbremsen kinetischer Energien, hält Rosa für unwahrscheinlich.
Viel wahrscheinlicher sei, dass die Beschleunigungsmoderne durch das Fehlen von politischer Verlangsamung zum Erliegen komme. Sie bezahlt dann ihre Unfähigkeit, Beharrung und Beschleunigung zu balancieren, mit nuklearen oder klimatischen Katastrophen, mit einem Kollaps des Ökosystems, globalen Krankheiten oder unkontrollierter Gewalt – »vor allem dort, wo die ausgeschlossenen Massen sich gegen die Beschleunigungsgesellschaft zur Wehr setzen«.
Angesichts solcher Aussichten erstaunt es durchaus, dass Rosa sein imponierendes Buch nicht als Einübung ins Unvermeidliche versteht, sondern als kritische Theorie der Gegenwart. Eine kritische Theorie gibt nicht eher Ruhe, bis sie Alternativen zu ihren Beschreibungen aufzeigen kann. Bei Rosa sind sie nicht zu finden, das ist die Arbeit von morgen. Sie duldet wie immer keinen Aufschub, denn die Zeit drängt.||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Hartmut Rosa (* 15. August 1965 in Lörrach) ist ein deutscher Soziologe und Politikwissenschaftler.
Leben
Er beendete 1985 mit dem Erhalt des Abiturs an dem Hochrhein-Gymnasium in Waldshut die Schule und startete 1986 seine akademische Laufbahn. Bis 1993 studierte er Politikwissenschaft, Philosophie und Germanistik an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau (Abschluss mit Auszeichnung) und an der London School of Economics and Political Science (LSE) in London. 1997 promovierte er zum Dr. rer. soc. an der Humboldt-Universität zu Berlin mit dem Prädikat summa cum laude. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena habilitierte er 2004 zum Thema "Soziale Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne" und erhielt dort die Lehrbefähigung und den Venia legendi für Soziologie und Politikwissenschaft.
Zwischen 1988 und 2002 verbrachte Hartmut Rosa mehrere akademische Auslandsaufenthalte in den USA, unter anderem 1995 an der Harvard University, Cambridge, Massachusetts, als Forschungsassistent im Department of Government/ Center for European Studies. Außerdem erhielt er ein Feodor-Lynen Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung 2001-2002 für die Arbeit als Gastprofessor an der New School University, New York. Seit 2002 nimmt Hartmut Rosa alle zwei Jahre eine Gastprofessur mit Forschungstätigkeit in Soziologie der New School University in New York wahr. Des Weiteren war Rosa als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Wissenschaft III der Universität Mannheim (1996-1997) und als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (1997-1999) tätig. Im Sommersemester 2004 hielt er eine Lehrstuhlvertretung für Politikwissenschaft/Politische Theorie an der Universität Duisburg-Essen und im Wintersemester 2004/2005 sowie im Sommersemester 2005 hatte er die Lehrstuhlvertretung für Politische Wissenschaft an der Philosophisch-Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg inne.
Zur Zeit leitet Hartmut Rosa zusammen mit Hans-Joachim Giegel ein Teilprojekt über politische Kultur und bürgerschaftliches Engagement und lehrt als Professor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Hartmut Rosa hat nach eigener Aussage vier Forschungsschwerpunkte.
Zeitsoziologische und moderntheoretische Untersuchungen, die Basis seiner Habilitationsschrift "Soziale Beschleunigung. Die Veränderung der Temporalstrukturen". Die "technische beziehungsweise ökonomisch induzierte Beschleunigung" zeigt sich in der rasanten Entwicklung der Technik im 19. /20. Jahrhunderts und der sozialen Beschleunigung der Menschen. Die Geschichte der Moderne sei gleichzeitig die Geschichte von Beschleunigung. Aufgrund des Zeitgewinns durch technischen Fortschritt entstehe eine Zeitnot und kein Zeitgewinn. Laut Rosa führt die Vielzahl der Möglichkeiten dazu, dass ein Mensch die ihm gegebenen Möglichkeiten nicht mehr im Laufe seines Lebens ausschöpfen kann. Die "Steigerungsrate übersteigt die Beschleunigungsrate", was dazu führt, dass das gerade Erlebte bereits nicht mehr up to date ist und die Individuen keine Chancen haben "lebensgesättigt" zu sterben, wie es auch schon Goethes Faust erging. Rosa kreiert das "Slippery-Slope-Phänomen", welches ausdrücken soll, dass der Mensch sich nie ausruhen kann/darf und sich nie zufrieden geben darf, da er sonst einen Verlust oder einen Nachteil erleiden könnte. Rosa sieht keine Steuerungsmöglichkeiten des Lebens für den Menschen mehr, da sich das Tempo der Beschleunigung verselbständigt habe.
Die "Kommunitarismus-Debatte". (vgl. Kommunitarismus) Zu diesem Themenbereich gehört auch seine Dissertation über den kanadischen Philosophen Charles Taylor.
Bildung von Mobilisierungsressourcen. Die Frage, woraus sich in der allgemeinen Entwicklung moderner Gesellschaften, vor allem die der ostdeutschen Transformationsgesellschaft, Mobilisierungsressourcen bürgerlichen Engagements bilden können und welche politische Gesinnung wahrscheinlicher in einem ehrenamtlichen oder zivilgesellschaftlichen Engagement resultiert, stellt den dritten Forschungsschwerpunkt. Laut Rosa erzeugt die Identifizierung mit dem Staat, "mein Land", eine moralische Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass dieser Staat richtig handelt. Um dies gewährleisten zu können, muss man sich selbst dafür einsetzen.
Die Metatheorie in der Wissenschaftstheorie der Sozialwissenschaften aus einer ideengeschichtlichen Perspektive. Dabei betont er die Verdienste der sogenannten Cambridge School, deren Angehörige in seinen Augen das "Bewusstsein für methodische Fragen und theoretische Voraussetzungen im Umgang mit der Ideengeschichte geschärft und dabei eine fruchtbare methodologische Diskussion" eröffnet haben. Rosa fordert eine Hinterfragung politischer Theorien bezüglich ihres Inhalts und ihres Wirkens. Das bedeutet die Untersuchung von Traditions- und Diskussionszusammenhängen, sowie normativer oder ideologischer Implikationen, in denen er das zentrale Anliegen einer kritischen Begriffsgeschichte sieht. Dieser Forschungsschwerpunkt fügt seine vorangegangenen Themenbereiche zusammen. Rosa sucht, neue Verbindungen zwischen der aktuellen Gesellschaftstheorie mit zeitdiagnostischen Analysen und einer normativen, kritischen Sozialphilosophie, deren Basis er in der Verknüpfung von "politik-, identitäts- und modernetheoretischen Überlegungen" sieht.
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