Dienstag, 5. Januar 2010

540 Die Antinomie von Gottesglauben und Vernunft - aufgehoben in der Aussage einer Pfarrerrin: "Wer so seinen Atem verfolgt, der ist in Gott".

Statt von einer solchen Form der Meditation zu sprechen, hätte die Pfarrerin sich in ihrer vor längerer Zeit während einer Wartepause im Autoradio gebrachten und von mir nur ganz, ganz "zufällig" mitgehörten Morgenandacht auch auf andere Weisen des Findens hin zur eigenen Mitte beziehen können. So auf die Transzendentale Meditation, wie sie von dem indischen Weisen Maharishi Mahesh Yogi über mehr als 50 Jahre hinweg in die Welt getragen werden konnte. Oder auf das Ruhegebet, welches vor allem einer seiner früheren Schüler, der jetzige Pfarrer Peter Dyckhoff, in Gestalt des Paternosters seiner Umwelt nahezubringen sich bemüht. Dahingehende Infos lassen sich recht einfach im Wege der Blogsuche ausmachen - vgl. dazu den Post 500, der abschließend zu jedem Eintrag erscheint.

Geht man davon aus, dass schon der einfache Atemverfolg eine solche Tragweite hat, dann kommt man sehr bald an den Punkt, Religion in erster Linie für eine Angelegenheit der Erfahrung zu halten. Und nicht für eine der Indoktrination. Denn so stellt sie sich, Gott sei's geklagt, über weiteste Strecken dar. Glaubensvermittlung geschah und geschieht vorwiegend auf diesem Wege - sei es nun bei den Katholen, den Evangelen, den Baptisten, den Evangelikalen oder den Sekten. Von daher kann es nicht verwundern, dass, wie der hier gebrachte Text bezeugt, die Kirchen sich zunehmend leeren. Die kirchliche Lehre und die kirchliche Leere: irgendwie passt das eine zum anderen.

Glaubensvermittlung, so wie sie geschieht, ist eigentlich ein Unding. Da werden dem Individuum Glaubenssätze gepredigt und überwiegend auch zu Dogmen verfestigt, mit denen er in seiner Vorstellung nur recht wenig anfangen kann. Da der Schöpfer dem Homo sapiens - den ich hier einmal nicht in Anführungszeichen setze - auch eine ordentliche Portion Vernunft mit auf den Weg gegeben hat, kann es nicht verwundern, dass die sich irgendwann einmal zu Wort melden musste. Gemeint ist die Zeit der Aufklärung.

Dass kaum ein Christ mit eben den vorstehend nur allgemein angesprochenen Glaubenssätzen etwas anfangen kann, dies zeigt sich doch besonders deutlich darin, dass man in früherer Zeit über die Ungläubigen hergefallen ist, sie unterjochend und knechtend. Welche Tradition ihre Fortsetzung beispielsweise in den von den Kirchen unterhaltenen Kinderheimen mit den dort ausgeübten Quälereien fand. Wollte man eine Liste erstellen, auf der sich alle Punkte des Versagens in der praktischen Glaubensanwendung festgehalten finden sollten: sie würde endlos.

Eben wegen seines dogmatischen Charakters und der mit ihm verbundenen Zwänge musste das, was von den Kirchen verbreitet und den Menschen vorgesetzt wurde, auf Widerstand stoßen: Die Menschen machten mobil gegen die ihnen zugemutete Bevormundung. Dazu wäre es nicht gekommen, hätte man ihnen ganz schlichte Bewusstseinstechniken wie etwa die Atemverfolgung an die Hand gegeben, die ihnen mit dem Hineingehen in den Raum der Stille und der mit ihr verbundenen Unaufgeregtheit die Möglichkeit eröffnen, die Transzendenz in der ihr adäquaten Sphäre wahrzunehmen.

Stattdessen unternehmen sie eigentlich nichts weiter, als sich krampfhaft in Szene zu setzen und ordentlich dafür ins Zeug zu legen, dass die jeweiligen Zeitgenossen sich auf ein ganz bestimmtes Verständnis festgelegt sehen. Indem sie sie auf eine ganz bestimmte Sehweise verpflichten und an sich zu binden suchen, ist es im Kleinen wie im Großen immer wieder zu Exzessen wie etwa der Heidenabschlachtung in Südamerika oder den Hexenverbrennungen gekommen. Aber nicht allein diese Vorgänge sind ein beredtes Zeugnis für die Unfähigkeit der Kleriker, die Bedürfnisse der Menschen wahrzunehmen. Die auch dahingehend zu sehen sind, dass man ihnen etwas an die Hand gibt, das dazu angetan ist, zu einer Begegnung mit der Transzendenz zu finden.

Der von Gott dem Menschen gegebenen Kraft des Geistes, also der Vernunft, ist es eigen, dass sie sich Erklärungsmodelle für das zu schaffen sucht, was ihr in der Wirklichkeit begegnet. Das, was von den Klerikern praktziziert wurde und weiterhin wird - man denke hier nur an das päpstlicherseits ausgesprochene Kondomverbot -, kann unter solchen Voraussetzungen nur als unvernünftig angesehen werden. In diesem Zusammenhang fällt mir das - schon seit Jahrzehnten in der katholischen Kirche nicht mehr zu hörende - Kirchenlied ein, welches mit der ersten Strophe folgendermaßen beginnt: "Fest soll mein Taufbund immer stehen, ich will die Kirche hören. Sie soll mich allzeit gläubig sehen - und folgsam ihren Lehren. Dank sei dem Herrn, der mich aus Gnad' in seine Kirch' berufen hat - nie will ich von ihr weichen."

So hätten sie es gerne - die Herren, die in den Kirchen das Sagen haben. Eine derart plumpe Masche der Befestigung der eigenen Machtstellung kann auf Dauer nicht verfangen: nicht von ungefähr hat man bei den Katholen heutzutage davon Abstand genommen, das fragliche Lied anstimmen zu lassen. Die Frage ist doch, was der Mensch in seinem Verständnis mit dem anfangen kann, was ihm vorgestellt wird, und was er im Endeffekt davon hat. Sich hier, wie etwa die Missionare zur Konquistadorenzeit, darauf zu berufen, dass man ja den Heiden das Heil für die Ewigkeit bringe - eine Argumentation, von der man bis heute nicht abgerückt ist -, kann doch nicht all die Untaten rechtfertigen, die im Zuge einer solchen Unterwerfungskampagne inszeniert worden sind.

An mittlerweile zig Stellen habe ich in diesem Blog auch den Gesichtspunkt zu verdeutlichen gesucht, dass ein solcher Zugang auf die Transzendenz mit seinen affirmativen und letztlich nur der Selbstvergewisserung dienenden Elementen nicht der sein kann, den ein höhere Wesen von mir und meinesgleichen erhofft. Ja, es ist eine Hoffnung, die den Menschen zeit seines Lebens begleitet: Dass er doch endlich an den Punkt gelangen möge, aus der rechten Schau seiner ganz persönlichen Lebensgeschichte heraus einschließlich der Verhältnisse um ihn herum ein Verhältnis mit eben dieser ungemein wohlwollenden, jede kleinste Regung fürsorglich registrierenden Kraft zu begründen.

Wer zu einer solchen Schau der Dinge gelangt ist - und Anhaltspunkte in dieser Richtung zu liefern ist eines der diesem Blog konzeptionell mit zugrundeliegenden Gestaltungsprinzipien -, dem geht auf, dass das Behauptenmüssen eines vernünftigen Standpunktes letztlich auch nur Gerede ist. Weil nämlich nichts unvernünftiger ist, als sich selbst solch kostbarer Erfahrungen zu berauben, die sich dann ergeben - und zwar am laufenden Bande -, wenn man denn gelernt hat, den je gegebenen Moment ganz intensiv wahrzunehmen - ungestört von jeder auf die Vergangenheit bezogenen hadernden und rechtenden Überlegung und ungetrübt von zukunftsbezogenen Befürchtungen und Grübeleien. Religio, also Rückbindung, geschieht immer in dem je konkreten Augenblick. Die Vergangenheit schließt einfach nur vertane Chancen in dieser Hinsicht ein - ist, recht besehen, ungelebtes Leben. Wirkliches Leben, das beinhaltet nach meinen recht frischen Erfahrungen, einfach nur zu sein - ohne all die letztlich nur aufhaltsamen Erwägungen des Für und Wider in allen Belangen, die die eigene Umwelt betreffen. Dies alles glaube ich, nach meiner Neugeburt mit über 60 Jahren sagen zu können. Das Fatale an diesem ungelebten Leben: Die Menschen rächen sich dafür an ihrer Umwelt - ohne die Ursache für diese gegen ihre Mitmenschen und gegen die natürliche Umwelt gerichteten Antriebe zu erkennen.

Wie eingangs gesagt: Der Verfolg des Atems schafft eine Verbindung zu Gott hin - eben weil dann allein das Gegenwärtige zählt und in einer mentalen Stille alle Störmomente ausgeschaltet sind. Solches sollte man pflegen - anstatt angestrengt zu versuchen, irgendwelche Vorgaben einzuhalten, was nur dazu angetan ist, dem Menschen ein schlechtes Gewissen zu machen, ihn so leichter manipulierbar werden lassend. All das Positive, welches krampfhaft herbeigeführt werden soll - aber nicht wird - ergibt sich wie von allein aus einem gewissen Fluss heraus, in den man sich gestellt sieht, wenn man denn den selbstbestimmten und gerade auch der Vernunft gehorchenden Bezug zur Transzendenz gefunden hat.

PS: Am 07.01. in meinem ePostfach folgende Botschaft:
Lass deinen Geist still werden wie einen Teich im Wald.
Er soll klar werden wie Wasser,
das von den Bergen fließt.
Lass trübes Wasser zur Ruhe kommen,
dann wird es klar werden.
Und lass auch deine schweifenden Gedanken und
Wünsche zur Ruhe kommen.
Denn dann erkennst du, was für dich wichtig ist.
Geh in deine Mitte, denn dann ahnst du,
was die göttliche Mitte der Welt ist.

Digha Nikaya 37 (Sammlung längerer Lehrreden Buddhas)



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