Freitag, 8. Januar 2010

545 "Wir haben die Wahl zwischen Furcht und Vertrauen": Auswirkungen eines falschen Menschenbildes.

----- Original Message -----
To: Infozirkel
Sent: Tuesday, January 16, 2007 3:57 PM
Subject: Irreführende Menschenbilder
Adressat/en/in

in Sachen

MENSCHENBILD***(„Wir haben die Wahl zwischen Furcht und Vertrauen“: Zitat am Ende des angefügten Zeitschriftenartikels)

Sehr geehrte/r Adressat/in,

es kommt nicht von ungefähr, dass sich gerade in einer Situation, in der mir in obiger Hinsicht noch einiges unklar war, in einer Zeitschrift auf den Artikel „Der Mensch, ein Egoist?“ stoße (Publik-Forum 1/07). Denn: Seit ich Anfang 2006, nach 60 quasi gebetsfreien Jahren, irgendwie den richtigen Eintauchwinkel in das Meer der Ruhe gefunden haben, beginnen die Dinge sich für mich in geradezu umwerfender Weise zu fügen. Ich werde vielleicht gelegentlich darüber berichten.

In dem fraglichen Artikel geht es um eine Streitschrift des Neurobiologen, Arztes und Psychotherapeuten Joachim Bauer, Medizinprofessor in Freiburg. In der Darwin mit seiner These, das oberste Prinzip der Natur sei Krieg, Kampf der Arten und Konkurrenz, in sehr gut nachvollziehbarer Weise widerlegt wird. „Alles falsch, sagt Bauer und verweist auf Ergebnisse der Hirnforschung, der Genetik sowie der Spieltheorie.“ Er stellt darin unter anderem fest, Darwin fuße mit seinen Vorstellungen vor allem auf Malthus, einem Wirtschaftswissenschaftler, der ein halbes Jahrhundert vor ihm für seinen Wissensbereich den Kampf ums Überleben ausgemalt habe. Darwin habe kaum mehr geleistet, als diese Vorstellungen in die Biologie hinein zu projizieren.

Bauer stellt ferner fest, das darwinistische Menschenbild sei schon bald in das individuelle und kollektive Bewusstsein eingesickert und habe dort die verheerendsten Auswirkungen gehabt – unter anderem in der nationalsozialistischen Euthanasie und dem Holocaust. Die Verherrlichung des Kampfes werde heutzutage weiterbetrieben von den Neoliberalisten, dabei allen voran Friedrich August von Hayek mit seinem Mantra ‚optimale Steuerung durch die unsichtbare Hand des Marktes und damit des Eigeninteresses’.

Vor der eingangs festgehaltenen Sentenz heißt es in dem Artikel: „Das Menschenbild entscheidet darüber, wie wir Kinder erziehen, wie wir Schulen einrichten, wie wir Gefängnisse ausstatten, wie wir strafen, ausbilden, therapieren. Wie wir Konflikte lösen und Wirtschaftssysteme organisieren. Was wir für gerecht halten und für angemessen und für sinnvoll. Das Menschenbild entscheidet darüber, ob wir glauben, dass Arbeitslose noch mehr Druck und Zwang brauchen -........ Das Menschenbild entscheidet darüber, ob wir glauben, dass Menschen zu ihrem Glück manipuliert und genötigt werden müssen…“

Und damit bin ich an dem Punkt angelangt, um den es mir gerade in der letzten Zeit ging, der mir aber noch gewisse gedankliche Schwierigkeiten bereitete und zu dem zu äußern ich noch nicht so recht traute: dem Menschenbild, welches von den Kirchen in die Gesellschaft hineingetragen wird. So, dass die Individuen sich nicht in dem Maße von überkommenen Einschätzungen und Praktiken freimachen können, wie es ihnen von Jesus nahe- resp. vor allem mit dem Paternoster in den Mund gelegt worden ist.

Ebenfalls nicht von ungefähr bin ich in eben der genannten Publikation auf ein Streitgespräch zwischen zwei profilierten evangelischen Theologen gestoßen, zu dem ich in einer Rundmail, datierend vom 9.8.06, und anderem festgestellt habe: „Während Steinacker in der Frage nach der religiösen Wahrheit sehr stark einen formal-logischen Standpunkt betont und am liebsten einen quasi beamtenrechtlich festgelegten Zugang zu Gott hätte, argumentiert ersterer mehr von einem vital-logischen Standpunkt her. Für ihn ist entscheidend: ‚Was erweist sich in der Weise als wahr, dass es Menschen gut leben und sterben lässt? Wenn Menschen bezeugen, dass Jesus sie trägt und sie diese Unterstützung als wahre Kraft in ihrem Leben erfahren, …..dann ist für mich diese Religion wahr.’“

Besagtes Gespräch abschließend, stellt dabei der Theologieprofessor Jörns fest: „Ich glaube nicht, dass Jesus für uns gestorben ist, sondern dass er für uns gelebt hat, um uns von den alten, angsterregenden Gottebildern zu befreien. Für diese Wahrheit hat er sich sogar hinrichten lassen.“ Zuvor hatte er ausgeführt, die Ansicht, Jesu Tod sei der Sünde Sold, habe altägyptische Wurzeln – und erscheine ihm allein schon von daher doch nicht so tragfähig, wie es wünschenswert wäre.

Und damit wären wir bei dem Problem der Sünde. Die sich, etwas anders besehen, absolut nicht zwingend als Kerndefekt des Menschen darstellt und als etwas, das einem ganz, ganz Altvorderen anzulasten wäre – welches dann von einem Nachkömmling, sprich dem Sohn Gottes, hinweggenommen werden musste. Gewiss, diese Schau entbehrt auch nicht der Berechtigung – nur, der Akzent müsste verlagert werden: weg von der Schuld des Menschen – hin zu den Möglichkeiten, die sich ihm bieten, wenn er den Kontakt zu dem Geist Gottes hin sucht, auch, um in dem ganz zentralen Punkt nicht immer wieder zu versagen, dem Verfolg des Ziels der Vollkommenheit. Welches Jesus mit den Worten anspricht: „Seid vollkommen, wie Euer Vater im Himmel vollkommen ist!“ Und - hier nicht ganz im Wortlaut wiederzugeben: "Nach mir wird es Menschen geben, die, im Vertrauen auf mich (und den Geist?) Größeres bewirken werden als ich."

Mit anderen Worten: Jesus selbst geht von einem positiven Menschenbild aus – und gibt den Menschen für die immer wieder erforderlichen Verhaltenskorrekturen das Paternoster an die Hand – welches d a s Mittel der Wahl zur Verbesserung der eigenen Befindlichkeit, des Zurechtkommens in der Welt, darüber hinaus aber auch der gesellschaftlichen Zustände ist. Jesus wollte und will die Menschen so befreien, dass sie dazu kommen, wirklich zu leben und wirklich sie selbst zu sein.

Die Sünde des Menschen liegt aktuell immer wieder darin begründet, dass der ‚homo sapiens’ das in ihm selbst ruhende Potential nicht ausschöpft, dass er nicht die Verbindung zum Geist Gottes sucht, dass er das Ziel der Vollkommenheit verfehlt. Weil wir nicht die Nähe zum Vater und zum Geist hin suchen, weil wir irgendwie nicht den richtigen Dreh finden, läuft intra- wie intersubjektiv das Allermeiste schief. Weil wir dazu tendieren, die aus der fehlenden Rückkopplung resultierende Unvollkommenheit permanent in die Umwelt hineinzuprojizieren, entsteht in der Weltgeschichte pausenloses Leid. Bauer formuliert, das der „Mensch für gelingende Beziehungen konstruiert“ sei und wegen des Scheiterns in gerade diesem Punkt psychische Erkrankungen epidemisch würden.

Wieder nicht von ungefähr kann ich aus meinen – halbherzigen Kirchenbesuchen – gerade noch die folgenden Strophen eines dort ganz gelegentlich angestimmten Songs memorieren: „Heiliger Geist, oh Tröster mein, kehr in unsere Herzen ein, mit den sieben Gaben Dein! Deine Weisheit hauch uns ein, dass wir suchen Gott allein, dass wir nur in Dir uns freu’n.“ „Heiliger Geist, oh……….… Um Verstand wir herzlich fleh’n, dass wir Gottes Wort versteh’n, dass wir….................…“ „Heiliger Geist, oh………. Steh uns bei mit Deinem Rat, dass wir geh’n den rechten Pfad, dass wir...............................

Und des Songs: „Im Frieden Dein, oh Herre mein, lass zieh’n mich Deine Straßen. Wie mir Dein Mund gegeben kund, schenkst Gnad Du ohne Maßen. Hast mein Gesicht das sel’ge Licht des Himmels schauen lassen.“ „Oh Herr verleih, dass Lieb und Treu in Dir uns all verbinden. Dass Herz und Mund zu jeder Stund Dein Freundlichkeit verkünden! Bis nach der Zeit den Platz bereit an Deinem Tisch wir finden.“

Hinzugekommen ist jetzt für mich der Lieblingssong der Baptisten in Wennigsen: „Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht, Christus, meine Zuversicht, auf Dich vertrau ich und fürcht mich nicht, auf Dich vertrau ich und fürcht mich nicht.“ Und der Taizé-Song: „Schweige und höre, neige Deines Herzens Ohr, suche den Frieden!“ (endlos wiederholbar) In diesem Sinne:

Grüezi wohl alle miteinand


Klaus Bickmann

PS: Im Anschluss an den folgenden Artikel findet sich im Heft 1/07 ein Interview mit dem einige Schleier hinwegnehmenden Autor der Streitschrift. Das Geleitwort des Chefredakteurs Politik/Gesellschaft zu Ende dieser Rundschrift empfehle ich ebenfalls der Aufmerksamkeit.

***vgl. den Anfangskommentar in Post 543

Keine Kommentare: