Samstag, 28. Mai 2011

1182 "Wie Diebe in der Nacht": Stuttgart 21 - Aktuelles und weiter Zurückliegendes. Beides unter dem Aspekt, dass der herrschende Klüngel den Karren auch bei diesem Projekt an die Wand zu fahren neigt.


Aber nicht in dem Sinne, dass es scheitert, sondern so verstanden, dass diese Clique ordentlich daran arbeitet, dass jegliches Vertrauen in die demokratischen Institutionen untergraben wird. Zu dem fraglichen Projekt und zu der hinter ihr stehenden Interessengruppe lässt sich in diesem Blog eine ganze Reihe von Einträgen ausmachen. Unter anderem einer, in dem dessen Hauptbetreiber, der in der fraglichen Region wohnhafte Tunnelbauer Herrenknecht, anhand von Pressematerialien vorgestellt wird. Was die Haltung der Regierenden auch in dieser unseligen Angelegenheit anbelangt, so ist in diesem Post eine Aussage des Reporters Christian Grauer zu finden, die diese hervorragend charakterisiert. Unter dem im Folgenden erscheinenden Bildmotiv - einem Zusammenschnitt eines Inserates von Fielmann und einer Überschrift aus dem Regionalteil der HAZ zu einer sportlichen Begegnung - lässt sich diese Aussage anhand der Markierung mit Rot leicht ausmachen.

Apropos Rot: Das pflegt die fragliche und immer wieder mit äußerst fragwürdigen Mitteln zu Werke gehende Sippschaft samt deren Entourage zu sehen, sobald ihre immer nur rein pekuniären Interessen von den Aktivitäten Einzelner oder aber auch zu Gruppen sich formierender Bürger tangiert erscheinen. Da wird dann das Menetekel der drohenden Planwirtschaft an die Wand gemalt und da werden alle Register gezogen, um jegliche Kritik an dem eigenen Vorgehen zu unterdrücken und die Gegner von Eingriffen größerer Art in den Landschaftshaushalt oder den Finanzetat einer Körperschaft in einem möglischst schlechten Licht erscheinen zu lassen.



Mit dieser Darstellung dürfte das "demokratische" Procedere einigermaßen treffend bezeichnet sein, welches diese Herrschaften immer wieder, an allen Orten, bei sämtlichen Projekten und unter allen Umständen zu wählen belieben. Wobei sich für den Blogger die Frage stellt, wieso die sich überhaupt guten Gewissens zur Wahl stellen können. Die Profiteure in diesem unseren ganz eigenartig funktionierenden System nutzen jede Möglichkeit der Camouflage, um sich als die unangreifbaren Herren jeglichen Geschehens darzustellen und entsprechend von den zumeist ahnungslosen Bürgern wahrgenommen zu werden.



Nicht nur dem Blogger dürften zunehmend all die Aktivitäten, die seitens der Landesregierungen wie auch der Bundesregierung entfaltet werden, in höchstem Maße suspekt erscheinen. Und er dürfte auch nicht mit seiner Ansicht allein dastehen, dass es eigentlich an der Zeit ist, wie die Menschen in Ägypten oder jetzt auch in Spanien auf die Straße zu gehen und ein Mehr an Demokratie zu fordern. Ob er bei der für morgen angesetzten Demo auf dem Opernplatz in Hannover gegen die weiterhin im Sinne der Atomlobby von Merkel & Co(nsorten) betriebene Energiepolitik dabei sein wird, steht allerdings noch dahin. Dieweil es sein könnte, dass es ihn bei dem um diese Zeit bei den Baptisten angesetzten Gottesdienst festhält. Bei dem er vielleicht sogar den hier sich auftuenden Zwiespalt darzustellen Gelegenheit finden wird. Oder aber in dem Fürbittenteil eine Anrufung des Meisters aller Klassen zu formulieren, die im Endeffekt wogar weiter führen könnte als das Mitmachen bei der fraglichen Demo.



Stuttgart 21

WIE DIEBE IN DER NACHT

Stuttgart 21 erregt die Gemüter. info3-Autor Christian Grauer ist Teil der Protestbewegung und berichtet für info3 aktuell von den Geschehnissen.
Von Christian Grauer
Es ist der 1. Oktober 2010. Kurz nach Mitternacht. Durch den Stuttgarter Schlosspark verläuft seit etwa 8 Stunden eine Front: zur Bahnhofseite hin stehen knapp 1000 Polizisten, auf der anderen Seite der Hamburger Gitter die Demonstranten, die einen Baustopp für das Projekt "Stuttgart 21" fordern. Mit Wasserwerfern und Tränengas hat sich die Polizei am Nachmittag eine 200 Meter lange Schneise durch den besetzten Schlossgarten gebahnt und dabei auch verletzte Schüler und Senioren in Kauf genommen. Jetzt steht die Polizei seit Stunden still, sichert den abgesperrten Bereich und scheint die protestierende Menge zermürben zu wollen. Es ist eine mäßig kühle Nacht. Die alten, mächtigen Bäume des Schlossgartens stehen in ihrem frühherbstlichen Laub im Licht der Polizeischeinwerfer. Es nieselt leicht auf die sattgrün beleuchtete Wiese. Seit 12 Stunden stehe ich hier, ich bin müde und das Szenario wirkt mittlerweile völlig surreal auf mich.
Die Protestbewegung zu dem seit 14 Jahren geplanten Projekt hat, wie so viele Bürger, auch mich erst im letzten Jahr erreicht. Ich bin nicht grundsätzlich gegen eine Neukonzeption des Bahnhofes. Ich kann sogar dem Entwurf einiges abgewinnen - Verkehrswege unter die Erde zu verlegen, um Grünfläche zu gewinnen ist eine gute Idee. Mein Protest speist sich wie bei vielen Mitbürgern vorwiegend aus der Entrüstung über die Überheblichkeit, mit der Stadt, Land, Bund und Bahn den Bürgern das Projekt vorsetzen und jede Gegenposition im Keim zu ersticken versuchen. Und aus meiner Liebe zu Bäumen, besonders zu großen, ausladenden Parkbäumen. Und der mittlere Schlosspark in Stuttgart ist auch nicht irgend eine Grünfläche, er ist viel genutzter Treffpunkt und beliebte Liegewiese, Familienspielplatz und Knotenpunkt der nicht motorisierten Infrastruktur in Stuttgart. Er ist ein Teil des Stadtlebens und seine bis zu 200 Jahre alten Bäume bilden das beeindruckende Gewölbe für diesen Kulturraum. Es ist unser Park!
Exakt um 1:00 Uhr sehe ich, wie im hinteren Teil des abgesperrten Geländes ein riesiger Bagger, eine so genannte Baumschere, von der parallel verlaufenden Straße förmlich in den Park herein stürzt und mit seiner überdimensionalen Greifzange einen der ausgewachsenen Bäume greift, absägt und zu Boden wirft. In weniger als einer Minute ist der Baum erlegt. Es wirkt wie die gespenstische Szene aus einem apokalyptischen Film. Ich sehe und höre den riesigen Baum durch die Luft rauschen und am Boden zerschellen, als wäre es ein Bündel Stroh.
Das Pfeifen und Brüllen der vielen verbliebenen Demonstranten kulminiert noch einmal, bevor es in eine lähmende Stille übergeht, die nur vom Motorenlärm der Baumschere und des riesigen Häkslers durchbrochen wird. Eine Woge aus Traurigkeit und ohnmächtiger Wut überkommt mich. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass in dieser Nacht noch mit dem Fällen begonnen wird. Die Polizei hatte noch zwei Stunden zuvor versichert, dass die Arbeiten bis zum 6. Oktober ausgesetzt würden. Entweder war dies eine taktische Lüge zur Auflösung der Demonstration oder die Polizei hatte die E-Mail gelesen, die das Eisenbahnbundesamt geschrieben hatte und in der es, wie später bekannt wurde, jegliche Fällung bis zum 8.10. verboten hatte.
Ich bin im Allgemeinen nicht sonderlich sentimental und habe die Veranstaltung bis dahin durchaus auch mit Distanz und Humor betrachtet, aber dieses außerirdisch wirkende Gerät, das sich im nächtlichen Flutlicht durch die Erhabenheit dieser Bäume frisst, wird geradezu zu einem archetypischen Bild der gewaltsamen Vernichtung und der Verachtung des Lebendigen. Indem sie vernichtet werden, offenbaren sich die stummen Bäume plötzlich als lebendige Wesen. Ich bin wie gebannt, mein ganzer Körper beginnt zu zittern und mir stehen Tränen in den Augen. Plötzlich protestiere ich nicht mehr mit dem Kopf, sondern ich spüre etwas in mir, das gegen das protestiert, was ich da sehe.

Denn in dieser emotionsgeladenen Szene steckt die ganze Ignoranz und bornierte Selbstgefälligkeit, mit der unsere Politiker versuchen, unumkehrbare Fakten zu schaffen und das Projekt auf Biegen und Brechen, nicht nur notfalls sondern vorsorglich mit Gewalt durchzuziehen. Die stolzen Bäume weichen in dieser Nacht nicht dem Bauvorhaben - dafür wäre noch lange Zeit - sie sind Opfer des verzweifelten politischen Kalküls und der diplomatischen Unprofessionalität von Ministerpräsident Mappus und Bahnchef Grube.
Sie sind ein zynischer Spielball in der Auseinandersetzung mit der Protestbewegung. Die 14 Jahre währende Unfähigkeit der Verantwortlichen, dieses in vieler Hinsicht duchaus sinnvolle Projekt den Bürgern zu kommunizieren und sie in die Entscheidung und Projektentwicklung einzubeziehen, die Abgehobenheit einer sich qua demokratischer Wahl zur Unanfechtbarkeit ermächtigt fühlenden politischen Elite, die völlige Hilflosigkeit im Umgang mit den eigenen Fehlern und den wachsenden Protesten aus der eigenen Stammwählerschaft heraus, dies alles kulminiert in dem völlig überzogenen Polizeieinsatz und der auf schiere Provokation und Kraftmeierei abgestellten Nacht- und Nebelaktion der überdimensionalen Baumscheren. Ungebrochen scheint da oben der Glaube, dieses Projekt mit sturer Gewalt und stereotypem Verweis auf die formaljuristische Legitimität unbeschadet durchziehen zu können.
Denn so sehr man in konzeptionellen Sachfragen dieses Projektes verschiedenster Meinung sein kann - sofern man für eine eigene Meinung überhaupt informiert genug ist - der legalistische Verweis auf die abgelaufenen Einspruchsfristen ist keineswegs eine demokratische Legitimation. Demokratie ist mehr als ein juristisch korrektes Verfahren. Die Möglichkeit zur eigenen Reflexion und ggf. Revision ist notwendiger und definitorischer Bestandteil jeder demokratischen Ordnung. Und neue Gesetze bis hin zu Verfassungsänderungen revidieren stets den formaljuristisch und formaldemokratisch legitimen status quo. Denn dieser ist nicht Ziel sondern Mittel zum Zwecke der tag täglich neu zu verwirklichenden Idee der Demokratie. Und schließlich zeigt nicht zuletzt die jüngere deutsche Geschichte, dass selbst in totalitären Systemen eine Politik nur soviel Wert ist, wie der Rückhalt und die Akzeptanz, den sie in der Bevölkerung findet. Eine formaljuristisch korrekte Entscheidung gegen den Mehrheitswillen des Volkes durchzusetzen ist aber nicht nur staatsphilosophisch fragwürdig: sie ist auch diplomatisches Harakiri. Und ein solches werden Mappus, Schuster und Grube begehen, wenn sie nicht schleunigst lernen, Demokratie als Idee und Ideal einer Gesellschaft zu begreifen, die auf Gleichberechtigung und Selbstbestimmung basiert, und nicht als formales Verfahren zur nachträglichen Lizenzierung von Entscheidungen und Plänen, die in einem fragwürdigen Halbdunkel von Vetternwirtschaft, Lobbyismus, Karrierismus und Elitarismus entstanden sind. Von den Zweifeln, die mittlerweile auch an das Verfahren selbst angemeldet werden, ganz zu schweigen.
Dass ein Referendum wirklich ein geeignetes Instrument ist, um über ein solch komplexes Projekt zu entscheiden, halte ich zwar für sehr fragwürdig. Aber ein vorläufiger Baustopp, so unsinnig und teuer er verfahrenstechnisch wäre, ist mittlerweile unerlässlich um die notwendige Glaubwürdigkeit in die Gesprächsbereitschaft und den geforderten Einbezug des Bürgers herzustellen. Der Baustopp ist als kleinster gemeinsamer Nenner der politisch äußerst heterogenen Protestbewegung eine keineswegs überzogene Forderung und hält im Grunde für eine phantasievolle, intelligente und demokratisch engagierte Politik noch alle Möglichkeiten offen. Und die Situation in Stuttgart steht im Grunde nur stellvertretend für ein gesamtgesellschaftliches Klima, in dem die bestehenden Formen demokratischer Willensbildung einem generellen Verdacht unterliegen. Das ist auch der Grund für die relativ hohe deutschlandweite Solidarität mit den Protesten zu Stuttgart 21.

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