Zeitgeist 

Der Moloch liest mit

Big Brother – wie die Privaten in die Privatsphäre einbrechen von 
Beim Einrichten eines Blackberry geschieht Erstaunliches, was aber nicht dem Hersteller, sondern einem anderen alten Bekannten namens Amazon anzukreiden ist. Dessen Kindle-App wird reibungslos heruntergeladen. Dann verschlägt es einem den Atem. Die App fordert Zugriff auf:
1. "Geräteidentifizierung, z. B. PIN."
2. "Standort: Lässt zu, dass diese App auf aktuelle oder gespeicherte Standorte zugreift."
3. "Dateien: ... Ihre Bilder, Musik und andere auf Ihrem Gerät, bei einem Speicheranbieter oder in der Cloud."
Josef Joffe
Josef Joffe
ist Herausgeber der ZEIT. Von 2001 bis 2004 war er auch ihr Chefredakteur, gemeinsam mit Michael Naumann. Davor leitete er das außenpolitische Ressort der Süddeutschen Zeitung

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Dieser Autor hat abgelehnt, weshalb er nun seinen uralten Kindle hervorkramen darf, um darauf seine gekauften E-Bücher zu lesen. Dann hat er Google Chrome aufgerufen. Hier schon wieder eine erschreckende Frage: "Google möchte Ihre vertraulichen Informationen verwenden, die in ›Chrome Safe‹ ... gespeichert sind." Der Nutzer muss zehnmal auf "Nein" hauen, bevor sich Chrome zur Öffnung bequemt.

Das sind nur zwei Beispiele von vielen, die an NSA, GCHQ und DGSE erinnern. Die bauen mit ihren digitalen Mähmaschinen Milliarden von Heuhaufen auf, um so eine Nadel zu finden. Sie sammeln, ohne zu fragen, Metadaten (Wer mailt/telefoniert wann mit wem?). Aber zumindest auf dieser Ebene wollen sie uns nicht in die Bilder und Dokumente gucken. Die Freunde horchen zwar am Kanzler-Handy, aber hier regt sich der geschulte Zyniker noch mehr über das Versagen der eigenen Dienste auf, die Großen der Republik vor derlei Zugriff zu bewahren. Dem Obama hat der Secret Service sofort den ungeschützten Blackberry abgenommen.

Sollen wir uns die PCs und Smartphones selber wegnehmen? Leider können wir ohne diese Dinger nicht mehr leben. Wir könnten zwar nur noch selbstzensierte Mails und SMS schreiben, deren Veröffentlichung weder Freundschaften noch Ehen, noch Arbeitsverhältnisse zerstören würde. Doch dringlicher wäre es, per staatlichen Eingriff den Zugriff der Riesen zu stoppen. Es reicht schon, wenn ich mit der Bestellung bei Amazon meine Interessen und Vorlieben preisgebe. In unseren Bildern und Dokumenten hat der datenfressende Moloch nichts zu suchen.

Standort? Hier sind die Gäule längst durchgebrannt. Wer eine Pizza oder den Weg nach Kleckersdorf sucht, muss seine Koordinaten freigeben. Einbrechen sollte er aber nur zu Fuß, was keine Spuren im Netz hinterlässt. Und der Kebse nur noch süße Brieflein schicken, die allein sie gegen ihn verwenden kann.

Was ist der Unterschied zwischen NSA und Amazon? Vorweg ein philosophisches Paradox: Letztlich kann nur der starke Staat die Freiheit gewähren, indem er dich vor mir und uns alle voreinander schützt. Den Missbrauch dieser Macht hegt wiederum der liberale Rechtsstaat ein – mit Verfassung, Gesetz und Parlament. Diese Sicherungen helfen wenig, wenn ein fremder Staat seine Tentakel ausbreitet. Aber der Rechtsstaat hilft sehr wohl gegen die digitalen Händler und Provider, die erst unsere Bequemlichkeit, dann unsere Daten um des Profits willen anzapfen, sie aber auch den Diensten zeigen.
Nein, kein nationales Netz; das wäre absurd. Aber die oben geschilderte Erpressung ("entweder Tür auf, oder die E-Bücher bleiben zu") müssen sich Regulierer und Gesetzgeber vornehmen. Und zwar im Namen der Freiheit.