Dienstag, 17. Februar 2009

179 Erde - werde! (II.) Eine andere Schau der Realität als die durch Darwin initiierte. Oder: Einige Griffe in das Schatzkästlein religiöser Erfahrung





 als von mir üblicherweise gehandhabt, erscheint das - jetzt noch ergänzte - "Globusmotiv" hier zu Anfang des neuen Eintrags. Zusammen mit einer Zwischenüberschriften, wie ich sie in der Ausgabe 1/09 der Zeitschrift Publik-Forum gefunden habe, sind da ganz anders. Allem aber voran die Momentaufnahme aus einer Fernsehsendung, welche hier a) das Marktschreierische bei der Selbstdarstellung auf- und angreift, so, wie sie in unseren Breiten praktiziert zu werden pflegt, und b) für das geradezu Himmelschreiende an all den Missständen in ihnen stehen soll.Dazu dann noch eine Kurzdarstellung des Ansatzes der PROZESSTHEOLGIE, die sich dort zu dem zugehörigen Artikel findet. Alles so recht passend zu dem, was ich bis dato immer denn mal wieder zu dem Verständnis der Schöpfung als "Creatio Continua" habe ausführen können.

Es ist in meinen Augen bezeichnend, dass ein solches Verständnis nicht von einem Theologen, sondern von einem Mathematiker und theoretischen Physiker entwickelt worden ist, und zwar von
Alfred N. Whitehead - der übrigens in einer zweiten Karriere Philosophie gelehrt hat. Als weitere Vertreter dieser Denkrichtung werden benannt: Der Philosoph Charles Hartshorne als Weggefährte Whitehead's, der Theologe David Griffin und John Cobb als bekanntester Prozesstheologe der Gegenwart.

In dem von dem Theologen H.J. Sander zu seinem Ansatz verfassten Text heißt es etwa: "Der Glaube an Gott, den Freund des Lebens, profitiert weder von der weit
verbreiteten Wissenschaftsgläubigkeit noch von einem Glaubensfundamentalismus. Hinzu kommt, dass die Theologie keine Möglichkeit hat, die Flut von komplexen Daten deuten zu können, die den modernen Großtheorien zur Erklärung des Universums zugrunde liegen. Die Theologie ist hier eher ohnmächtig. Soll man also Gott, den Schöpfer, ins Private des persönlichen Glaubens zurücknehmen? Dann wäre der Schöpfungsgedanke lediglich Ausdruck privater Erkenntnisbemühung. Wenn die Vision der Schöpfung aber keine überzeugende Aussagekraft mehr fürs Verstehen des Universums besitzt, dann wird sie schlicht banal."

Einleitend wird ausgeführt: "Die einen vertreten einen wissenschaftlichen Naturalismus. Diese Sicht trennt sich von allen Ideen, welche die Natur überschreiten, wie etwa die Annahme, dass das Universum Schöpfung sei. Die Naturalisten wollen die Autonomie des Physikalischen sichern. Sie bemühen sich um eine Welterklärung allein aus den Möglichkeiten des Universums heraus. Die Begriffe Schöpfung und Schöpfer taugen in dieser Sicht nicht für die Erklärung der Welt, sondern haben ihren Platz bestenfalls in der Denkwelt des Einzelnen, der seine persönliche Existenz dadurch abgesichert weiß."

Die entsprechende Textpassage wird folgendermaßen weitergeführt: "Die andere Sichtweise, die an den großen intelligenten Designer glaubt, vermischt die Idee der Schöpfung mit der Natur, um die Überlegenheit des Übernatürlichen zu demonstrieren. Sie verficht eine Welterklärung allein aus den Möglichkeiten des Glaubens heraus. Naturgesetze und wissenschaftliche Theorien taugen in dieser Sicht nicht zur Welterklärung im Ganzen; ihre Berechtigung liegt bestenfalls in der vorläufigen Einschätzung natürlicher Abläufe und Dinge sowie in der Verbesserung von technologischen Entwicklungen zur Naturbeherrschung."

Und weiter: "Beide Sichtweisen verteidigen mit Zähnen und Klauen ihre Ausschließlichkeit und verhalten sich strukturell wie die alten christologischen Häresien der Abschottung des Menschlichen vom Göttlichen....und der Auflösung des Menschlichen ins Göttliche.... Die einen verklären die Macht der Naturwissenschaften, die anderen die Verwunderungsmacht des Glaubens. Beide verlangen eine typisch moderne Identifizierung, die jedes Denken auch vom anderen Standpunkt her ausschließt. Keine der beiden Sichtweisen ist fähig, die Vielfalt von Welterklärungen anzuerkennen und ihre Bezugsgrößen Natur oder Schöpfung dazu jeweils in Beziehung zu setzen. Ähnliches ließe sich vom Kampf um die Evolutionslehre sagen."
Und weiter: "Könnten demgegenüber die beiden - vordergründig - gegensätzlichen Sichtweisen der Naturdeutung nicht vielleicht in einer Weise verbunden werden, dass sie weder getrennt noch vermischt werden, sondern eine Gemeinsamkeit ergeben, die beide voranbringt? Das heißt: Die eine Sichtweise konzentriert sich auf die Natur, die andere auf die Schöpfung; beide profitieren jeweils von den Einsichten, Theorien und dem Wissen um falsche Ideen des jeweils anderen."
Hier eingeblendet ein kurzer Kommentar zu dem nebenstehend erscheinenden Prachtgebäude: Es kommt nicht von ungefähr, dass mein Freund, der seit über 30 Jahren einer Denkschule verpflichtet ist, welche sich, in der jahrtausendealten vedischen Tradition stehend, mit den Funktionsmechanismen des Universums befasst, in einer solch noblen Residenz schon seit längerer Zeit eine Bleibe gefunden hat. Obwohl er, im Verein mit Gleichgesinnten im Laufe des Tages ganz, ganz lange meditierend, kaum je einem Erwerb nachgegangen ist.

"In der Prozesstheologie wird genau dies versucht. Sie verarbeitet eine Philosophie, die die intellektuell erregenden Relativitätstheorien Einsteins in eine neue Art von Metaphysik überträgt......In der typischen Weise greift er [Alfred N. Whitehead] binäre Codierungen auf wie Subjekt und Objekt, Sein und Werden, Idee und Abenteuer, makroskopisch und mikroskopisch, Inneres und Äußeres, physikalisch und mental, Gott und Welt usw. Solche binären Codierungen basieren auf Größen, die sich nicht ausweichen können und die sich gegenseitig relativieren."
Etwa im 4. Fünftel des Beitrags heißt es dann bei Sander: "Gott wird so gedacht, dass er konsequent den Prozessen der Realität nachgeht und seine Vision von der Welt als weiterführende Ideen einbringt (sogenannte Folgenatur). Diese Ideen kommen aus seiner sogenannten Urnatur, die über die Gesamtheit aller möglichen Ideen verfügt. In der Polarität von Ur- und Folgenatur spannt sich wie in einer Ellipse Gottes 'superjektive Natur' auf. Gott ist daher jenseits der Welt nicht wirklich zu fassen, die Welt diesseits Gottes nicht ganzheitlich zu begreifen."
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Nach so vielen Fremdaussagen möchte ich hier zurückkommen auf meinen Ansatz, die Dinge unter Rückgriff auf eine persönliche Ansprache sowie meine persönlichen Erfahrungen auf dem fraglichen Sektor etwas aufzudröseln. Wobei ich mich natürlich vorsehen muss bei dem Versuch, etwas über die Transzendenz auszusagen, die mit menschlichen Begriffen ja eigentlich gar nicht zu fassen ist. Einen entsprechenden Ansatz sehe ich beispielsweise in dem Einstein zugeschriebenen Dictum "Ich wüsste nur zu gerne, wie Gott denkt."

Es ist wohl so, dass auf Seiten der Transzendenz ein geradezu sehnsüchtiges Verlangen danach besteht, im menschlichen Bewusstsein eine wenigstens einigermaßen hinlängliche Vorstellung von der Beschaffenheit göttlicher Intentionen und Ansätze in Richtung eines Mehrs an Erfüllung für alle zu erwecken. Deshalb vor allem hat er uns seinen Sohn gesandt - und nicht, wie auch der h/H/eilige Abbé Pierre meint, um uns von einer Erbschuld zu befreien.
Einmal auf diesen Trichter gekommen, wirst Du wahrnehmen, wie geradezu dankbar - ein menschlicher Begriff, der auch wieder nur annähernd etwas über das göttliche Naturell auszusagen vermag! - seitens der Transzendenz bei allem reagiert wird, was Du im Weiteren unternimmst resp. Dir angelegen sein lässt. Und wie Du mit Gaben regelrecht überschüttet wirst - konkret: fruchtbaren Begegnungen und Hilfestellungen jedweder Art aus Deiner Umwelt heraus, materiell Dir sehr hilfreichen Gütern, Top-Veranstaltungen, erfüllenden Betätigungsmöglichkeiten, Naturerlebnissen, und, und, und....Wobei zu letzteren nach meinen bis dato gewonnenen Eindrücken sogar die Wetterverhältnisse zählen, die sich im Urlaub äußerst günstig für Dich gestalten - und dies sogar entgegen der Vorhersage. In diesem Zusammenhang noch der Hinweis, dass es nicht meine Holde und ich sind, die da auf dem Foto auf ihre Liegestühle zusteuern, dass uns aber immer wieder ein ähnliches Panorama und ein ähnlich schöner Strand auf Spiekeroog geboten wird.

Du wirst, auch wenn Du als Atheist oder Agnostiker solches nicht wahrhaben willst, in allen Deinen Lebenssituationen ständig begleitet von der treusorgenden Hoffnung des Schöpfergeistes, dass Du an irgendeinem Punkte auf seine Angebote eingehst. Dass Du seinen Traum mitträumst resp. Dich daran machst, ihn in die Realität hinein zu transformieren. Zu diesem Aspekt werde ich wohl schon alsbald einen gesonderten Tagebucheintrag verfassen. Schon recht bald bin ich bei meinen allmorgendlichen Meditationen dazu gekommen, in Gedanken die noch aus fernen Kirchenzeiten erinnerte, heute überhaupt nicht mehr gesungene Liedzeile anzustimmen: "....Im Frieden Dein, oh Herre mein, lass zieh'n mich Deine Straßen. Wie mir Dein Mund gegeben kund, schenkst Gnad' Du ohne Maßen." Dazu passend etwa auch die Aussage aus einem anderen Kirchenlied: "....Dein Freundlichkeit auch uns erschein...!"

Jeder, aber auch wirklich jeder kann, völlig unabhängig von den Festlegungen, wie sie allenthalben in den Konfessionen getroffen werden, in den Genuss solcher Freundlichkeitserweise gelangen - selbstverständlich nicht in dem Sinne, dass man es darauf anlegt - wie ja auch von den Kirchen bei den Meriten gelehrt, die man sich halt nicht als Rücklage für das Jenseits verschaffen kann -, weil a) der Himmel eh für alle offen steht und b) dieser eigentlich schon in das Diesseits hereingeholt werden will. Auf dem Programm für uns Menschen stehen nicht irgendwelche Vertröstungen auf einen Sankt Nimmerleinstag - die immer und immer wieder vorgenommen wurden und werden, um einen Halt zu geben, der angesichts der erlittenen Unbill für notwendig erachtet wird, tatsächlich aber nicht so recht funktionieren will, vielmehr will bewusstseinsmäßig die Basis für ein "Dein Reich komme"....in diese unsere Welt gelegt sein.

Das, was als frohe Botschaft ausgegeben wird, nämlich, dass Jesu Tod uns von einer Erblast befreit hat, kann im Herzen der Menschen nicht so recht ankommen, a) weil es als gedankliches Konstrukt dorthin keinen rechten Zugang finden will, und b) weil es nicht die Fülle dessen enthält, was eigentlich schon hienieden möglich und auch so für uns gewollt ist. Nur: Wir müssen an einen solchen Punkt der Erkenntnis gelangen und uns auf die Transzendenz einlassen. Mit Abbé Pierre sehe ich die frohe Botschaft darin, dass Gott sich entschlossen hat, zu den Menschen zu gehen, um sie von dem zu befreien, was sie unnötig begrenzt, ihnen bei der Gelegenheit vor Augen führend, dass sie nicht zwangsläufig Sklaven ihrer selbst sein müssen. Indem Du Dir klarmachst, welch ungeheure Erniedrigung ein göttliches Wesen allein dadurch auf sich nimmt, dass es all die Begrenztheiten der menschlichen Natur auf sich nimmt, um uns beizubringen, wie es sich in der Hinwendung zu den Mitmenschen besser leben lässt, wirst Du immer freier von Dir selber. Und das Dolle an der Angelegenheit ist, dass sich aus der Hinwendung zur Transzendenz, aus der Annahme dessen, was Dir zugestoßen ist und was Du in Deinem Verständnis hast umdeuten können als Schubs in die richtige Richtung (vgl. dazu die unter dem "Globusmotiv" erscheinende Aussage), alle entsprechende Bereitschaft so gut wie von selbst ergibt.

Es ist wohl so, dass jede auch nur kleinste gedankliche und gefühlsmäßige Regung - gestern Abend noch im Radio vernommen: erstere dem neuesten Gehirnteil, dem Großhirn angesiedelt, die letztere im Zwischenhirn mit seiem limbischen System und etwa dem Hypotalamus (das Kleinhirn als ältester Part in dem Ensemble spielt da überhaupt keine Rolle) - von dem alles umfassenden Bewusstsein registriert wird. So, dass auf jeder Stufe Deiner eigenen Erfahrung und Erkenntnis Dir das zugeliefert wird, was Du im Grunde benötigst, um Dich erkenntnismäßig, aber auch hinsichtlich der Gestaltung Deiner Lebensverhältnisse besser zu stellen. Welch alles Du in Deiner menschlichen Überheblichkeit leichtsinnig außer Acht lassen zu können meinst.

Die Neigung zu Überhebung und Überheblichkeit - wohl überwiegend mit einem kompensatorischen Drall versehen - ist uns allen eigen; sie sollte nicht an einem Menschenpaar von anno dunnemals festgemacht werden, welches gegenüber Anforderungen aus der göttlichen Sphäre heraus versagt und der Menschheit damit eine Riesenlast aufgebürdet haben soll. Nach meinem Verständnis sind wir vor allem dazu gerufen, die entsprechende Neigung mehr und mehr abzulegen - und im Umgang mit unseren Mitmenschen zu lernen, wie gut es allen tut, wenn man sich zurücknimmt. Dies alles mit der Perspektive auch auf ein Jenseits, in dem solches auch funktionieren soll. Weil es nämlich auch dort schon in unvordenklicher Zeit Überhebungstendenzen gegeben hat. Soviel - in einem im Ansatz heuristischen Procedere - zu der weniger theologischen als vielmehr teleologischen Perspektive.....

Teleologie: Ein philosophisches Problem in Geschichte und Gegenwart - Google Buchsuche-Ergebnisseite

.....des Projektes "Creatio Continua". Und soviel auch zu dem kosmologischen Background, vor dem ich alles sehe. Bei dem ich halt im Blick habe, dass, anders, als ganz zu Anfang zitiert, Gott gerade nicht "ungalant" ist.
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Die nebenstehende Textpassage aus dem Interview mit Pierre Stutz, geistlicher Schriftsteller und Leiter von Meditationskursen - www.pierrestutz.ch - knüpft an an das zugehörige Rosenmotiv vom Anfang dieses Posts. Das für das menschliche Bewusstsein steht, welches sich gleich ihr zum Licht und zur Wärme hin öffnet. Wobei es völlig unerheblich ist, welcher Konfession oder Denomination sich jemand zuzurechnen gehalten sieht.

In dem Interview heißt es weiter: "Publik-Forum: In Ihrem Buch [Geborgen und frei - Mystik als Lebensstil] kommt sehr oft das Wort 'Sehnsucht' vor. Könnte man Sehnsucht als ein anderes Wort für Mystik bezeichnen?
Pierre Stutz: Durchaus. Weil es die Hoffnung ausdrückt, es müsse mehr geben als das Vorfindbare. Mit dem Wort Sehnsucht ist die Einladung verbunden, die Tiefendimension des Lebens zu erkennen, also nicht einfach nur zu funktionieren und sich nicht zu schnell zufrieden zu geben mit oberflächlichen Deutungen des Lebens. Es geht um verrückte Hoffnungen, darum, nicht den Traum aufzugeben, dass unsere Welt gerechter werden kann und wir einen anderen Umgang mit der Schöpfung finden. Da spielen dann all die großen politischen Themen mit hinein.

Publik-Forum: Mystik wird gemeinhin eher nicht mit dem Politischen in Verbindung gebracht. Wie ist diese Verknüpfung genauer zu sehen? Wie geht es, nicht bei sich selbst, beim Ich und seiner Beziehung zu Gott stehen zu bleiben?
Pierre Stutz: Ich höre sehr vielen Menschen zu, kenne viele Lebensgeschichten. Was ich dabei wahrnehme, sind viel Überforderung, Brüche, enttäuschte Hoffnungen, Zerrissenheit. Von daher kann ich verstehen, dass viele Menschen eine religiöse Kuschelecke suchen, einen Ort, wo sie einfach zur Ruhe kommen können. Auch die Mystiker fördern den Mut, die Augen zu schließen, nicht immer nur auf äußere Anforderungen zu reagieren, um dann aber - ganz wichtig - klarer zu sehen. Und das heißt, zu erkennen, dass ich eingebunden bin in einer größere Wirklichkeit: die Natur, die Gesellschaft. Die Seele gibt es nicht nur in mir, sondern in jeder Pflanze, in jedem Tier. Und daraus erwächst Verantwortung für die beseelte Wirklichkeit um mich herum. Wer immer mehr zu sich kommt, spürt auch immer mehr die Verbindung mit allem. Das gehört zentral zu einem mystischen Lebensstil.......

Publik-Forum: Viele spirituell suchende Menschen wollen diese Paradoxien [je mehr ich zu mir selbst komme, ins Innere gehe, desto mehr spüre ich die Verbindung zur Welt; je mehr ich mich selbst erkenne, desto mehr erkenne ich Gott] wohl eher auflösen. Das ist dann auch das Streitpotenzial, das die Mystik enthält?
Pierre Stutz: Die Mystiker geben keine billigen Antworten, da geht es nicht um 'Schwarz oder Weiß', sondern um 'Schwarz und Weiß'. Hier liegt auch das Konfliktpotenzial mit der organisierten Religion. Wenn Religion zu einfach gestrickt oder als Machtfaktor missbraucht wird, erheben mystische Menschen Einspruch. Die genialste mystische Aussage stammt übrigens von Meister Eckhart. Er fordert dazu auf, 'Gott um Gottes willen zu lassen'. Welch ein befreiender Gedanke! Unwillkürlich fragt man sich ja: Was bleibt dann noch? Und dann fügt er hinzu: 'Damit er mir bleibe.' Das heißt: Es gibt keine absolute Wahrheit, die ich festhalten kann. Der kirchlich vermittelte absolute Wahrheitsanspruch wird von den Mystikern infrage gestellt. Wahrheit ist ein ständiger Prozess. Für mich ist das eine sehr lebendige Lebenseinstellung und ein sehr lebendiges Verständnis des Glaubens."
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Die Ansicht, worin Glück bestehe, muss sich bei den so gut wie ausschließlich dem Erwerb verpflichteten Zeitgenossen im Westen anders darstellen als bei den Völkern, die eine ruhigere Gangart pflegen. Dieser Aspekt soll, auch mit dem Thema 'religiöse Erfahrung' verquickt, anhand einiger Passagen aus dem Interview verdeutlicht werden, welches Christoph Quarch - ein von mir sehr geschätzter Mitarbeiter bei Publik-Forum -, mit dem Schamanen und Schriftsteller Galsan Tschinag hat führen können.

"Publik-Forum: Herr Tschinag, Sie sind ein Wanderer zwischen den Welten: Sie sind in der Mongolei geboren, haben in Leipzig studiert, schreiben auf Deutsch Geschichten über Ihre Heimat, sind Schamane und Romancier. Wie bekommen Sie das alles unter einen Hut?
Galsan Tschinag: Mein Vater war Schäfer und Pferdehirt im Altai. Als Kind konnte ich mir nicht vorstellen, einen anderen Beruf als er zu ergreifen. Aber dann kam alles anders. Erst wurde ich als Schamanenschüler ausgewählt, dann musste ich auf die Schule gehen. Damals habe ich angefangen, Gedichte in einer mir fremden Sprache zu schreiben: Mongolisch. Ich wollte damit berühmt werden, aber das gelang mir nicht. Also beschloss ich, Wissenschaftler zu werden, und fand mich plötzlich in Leipzig wieder. Dort studierte ich Germanistik und begeisterte mich für die deutsche Kultur. Aber gleichzeitig konnte ich es nicht lassen, Geschichten über die Welt meiner Kindheit zu schreiben. Als ich mit dem Studium fertig war, hatte ich den Vorsatz gefasst, die Mongolei einzudeutschen."

Im Weiteren berichtet der Schamane darüber, wie er seine "tiefe Dankbarkeit gegenüber der deutschen Kultur und den Menschen in Deutschland" zum Ausdruck gebracht hat. Um dann Stellung zu nehmen zu der Frage, wie er die Haltung der Deutschen einschätze, die die Geschichten über seine Heimat deshalb sehr goutierten, weil in ihnen paradiesische Zustände geschildert würden:
".....Und Deutschland ist so reich. Wie habe ich damals gestaunt! So viele Häuser und jedes Haus voller Stühle und Tische. 'Das ist Reichtum', habe ich damals gedacht, 'das ist groß. Die Straßen voller Autos - großer Himmel! -, auch Privatleute haben Autos.' Ich habe damals davon geträumt, das alles auch bei uns zu ermöglichen. Aber das hat nicht lange vorgehalten. Ich bin schnell erwacht und habe bald herausgefunden, dass dieses Leben nur scheinbar reich ist, dass es scheinheilig ist - und dass das Leben meiner Heimat echter und authentischer ist. Ich habe damals den Wert der nomadischen Kultur und Qualität unserer Lebensweise entdeckt. Davon wollte ich meinen lieben Deutschen erzählen. Ich wollte unsere Werte nach Deutschland exportieren.

Publik-Forum
: Was macht die Qualität des nomadischen Lebens aus?
Galsan Tschinag: Die Nomaden leben, die Deutschen arbeiten. Und nicht nur das: Sie schuften. Sie machen sich kaputt. Und sie bezahlen dafür mit Lebenszeit. Bei den Nomaden ist alles ein Spiel. Sie sind von Natur aus heiter. Wenn Sie bei uns auf dem Land einem Menschen in die Augen schauen, dann sehen Sie darin eine Flamme brennen. Die Menschen können noch so arm sein, sie sind echt. Wenn sie lachen, lachen sie. Wenn sie weinen, weinen sie. Sie zeigen ihre Gefühle. Und selbst in schwierigen Situationen verlieren sie ihre Grundheiterkeit nicht....

Publik-Forum:Was ist der Grund für diese Heiterkeit - eine bestimmte Spiritualität?
Galsan Tschinag: Absolut. In der nomadischen Kultur lassen die Menschen sich von dem Bewusstsein leiten, Splitter in einem großen, runden Ganzen zu sein. Das All, die Luft, der Himmel, das Blaue am Tag, die Schwärze in der Nacht: Alles ist voller Körper, voller Seelen, voller Geist, alles. Wir sind in einem bekörperten, beseelten und begeistigtem Universum. Und jeder Mensch ist darin ein Körnchen - ein kostbares Körnchen. Denn wenn das Ganze heilig ist, gilt das auch für jedes Teil. Die Achtung vor dem Ganzen beginnt deshalb bei der Achtung der eigenen Person....."
......

Publik-Forum: Dann sagen Sie mir: Was unterscheidet Sie als Schamanen von anderen Menschen? Haben Sie ein besonderes Können, ein besonderes Vermögen?
Galsan Tschinag: Bei Ihnen im Abendland gab es einst einen großen Philosophen namens Sokrates. Dieser Sokrates hat gesagt, er wisse, dass er nichts weiß. Ich dagegen komme aus dem dummen, unaufgeklärten Nomadenland. Dafür weiß ich, dass ich alles weiß. Da staunen Sie, oder?
Publik-Forum: Stimmt. Ich staune.
Galsan Tschinag: Gut, dann lassen Sie mich sagen: Ich weiß die Dinge, die ich wissen muss. Dinge, die mich nichts angehen, muss ich auch nicht wissen.
Publik-Forum: Wie meinen Sie das?.
Galsan Tschinag:Ich bin von Natur aus wach. Und ich bin von Natur aus gütig - nicht nur Menschen gegenüber, sondern gegenüber dem ganzen Universum. Warum? Weil ich tiefgläubig bin. Tiefgläubige Wesen sind immer gütige Wesen. Von nichts und von niemandem denke ich schlecht. Wenn ich sage 'Vater Himmel', dann stehe ich zu diesem Vater Himmel. Wenn ich sage 'Mutter Erde', dann versuche ich, dieser Mutter Erde etwas Gutes zu tun. WEnn ich die sogenannten zehntausend schamanischen Hilfsgeister herbeirufe, dann gehe ich fest davon aus, dass es diese Geister gibt. Mit ihrer Hilfe kann ich über Wasser wandeln. Vielleicht nicht gerade so wie Jesus, aber auf meine Weise kann ich schweben, kann ich Entfernungen überwinden.
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Publik-Forum: Gehen Sie auch so mit Schwerkranken um?
Galsan Tschinag: Ja, wenn ein Krebskranker mit seinem Leiden zu mir kommt, bringe ich ihn dahin, dass er seinen Krebs vergisst. Erst wenn er diesen Punkt erreicht hat, kann Heilung geschehen.

Publik-Forum: So geschieht also Heilung?
Galsan Tschinag: Genau. Und der Witz ist: Das kann jeder. Manchmal glaube ich, dass mein Auftrag darin besteht, den Westlern zu sagen, dass Schamanerei nichts Besonderes ist. Jeder ist im Grunde Schamane. Jeder kann sich selber helfen. Der menschliche Körper ist auf wunderbare Weise für ein gesundes Leben geschaffen. Wir haben alles, was wir brauchen. Uns fehlt nur die Weisheit, dieses großartige Geschenk zu würdigen, es in Ruhe zu lassen und mit allen guten Geistern im Einvernehmen zu leben. Weisheit bedeutet, sich nicht gegen den Lauf der Dinge zu stemmen. Wir Schamanen gehen mit, wir bleib en im Fluss und nehmen an, was kommt.. Manchmal fällt das schwer, aber wir wissen, dass sich alles wandelt....Wenn man so im Einklang mit dem großen Universum lebt, gibt es keinen Grund zum Klagen.
Publik-Forum: Im Westen, gerade auch in Deutschland, gibt es ein reges Interesse am Schamanismus. Liegt das daran, dass hier besonders viele Menschen heilungsbedürftig sind?
Galsan Tschinag: Mag sein. Mir ist aber wichtig, dass die Menschen nicht zu viel erwarten. Meine Aufgabe besteht darin, Menschen dabei zu unterstützen, ihren eigenen Weg zu finden - sie dabei zu unterstützen, die Heilungskräfte zu entdecken, die sie in sich haben. Das Wichtigste ist die Heiterkeit. Die Menschen in Deutschland leider darunter, dass sie so ernst sind. Sie arbeiten viel, aber die Arbeit ist ihnen eine Mühsal. Sie macht die Menschen fertig, entsaftet sie. Das ist mörderisch. Selbst wenn sie faulenzen, arbeiten sie noch dabei - voller Ernst und Anstrengung. Ich arbeite auch, aber meine Arbeit ist anders. Sie ist langsam und schwebend. Ich genieße mein Leben. Ich spiele mit den Geistern, und ich spiele mit mir. Ich spiele auch mit meinem Alter. Das würde den Menschen des Westens extrem schwerfallen. Sie können nicht spielen, und deshalb sind sie unglücklich.
Publik-Forum: Warum ist die westliche Lebenseinstellung so wenig heiter?
Galsan Tschinag: Sie ist eindimensional. Die westliche Sicht vom Leben gilt nur dem Körper. Aber ich bin nicht nur Körper. Ich bin mindestens dreiteilig. Ich habe auch eine Seele, und ich habe einen Geist. Diese beiden Dimensionen aber hat das moderne Denken des Westens ausgeklammert. Damit hat es den Menschen bestohlen. Es hat ihn seiner Würde beraubt. Es hat den Menschen, der ein Teil vom großen Heiligen ist, auf den Körper reduziert. Und schlimmer noch: Er hat ihn auf seine Gier reduziert. Er bedient ihn in seinen niedrigen Instinkten und gaukelt ihm vor, glücklich zu werden, wenn er sich nur genügend angeeignet und einverleibt hat.
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Publik-Forum: Im Westen wächst das Bewusstsein dafür, nicht allein auf der Welt zu sein. Der bevorstehende Klimawandel nötigt zu der Einsicht, nur dann bestehen zu können, wenn wir lernen, global zu denken und zu fühlen. Brauchen wir wirklich so etwas wie eine globale Spiritualität?Galsan Tschinag: Ja, wir brauchen eine globale Spiritualität. Und wir brauchen eine gute Philosophie. Eine gute Philosophie wäre eine Philosophie der Einheit. Aber der europäische Geist hat über Jahrtausende alles zertrennt, zerteilt und zerschnitten in kleine Scheibchen, die in die selbst gebauten Schubladen passen. Das ganze Universum hat der Westen schubladisiert. Da ticken wir mit unserer nomadischen Philosophie anders. Wir sind gierig nach Brüdern und Schwestern. Wir nehmen alles hin. In unseren Geist passt alles hinein. In ihm gehört alles zusammen. In ihm ist Einheit. Würden wir alle dieses Bewusstsein von Einheit ausprägen, würden wir als Menschheit besser leben.
Publik-Forum: Sehen Sie in den traditionellen Hochreligionen Potenziale zu diesem Bewusstsein der Einheit?
Galsan Tschinag: Ganz pauschal gesprochen: Religionen sind okay. Die Grundidee des Christentums akzeptiere ich genauso wie die aller anderen Religionen. Aber sobald eine Religion zur Kirche oder Insitution wird, wenn sie Macht und Reichtum anhäuft, dann wird es problematisch. Dann werden die Schotten dicht gemacht. Da geht jedes Potenzial verloren. Was ich am zeitgenössischen Christentum am meisten vermisse, ist Heiterkeit. Die Christen nehmen sich so ernst. Da ist nicht gut. Wenn man so ernst ist, dann zieht sich alles in einem zusammen. Dann lässt man sich von nichts und niemandem mehr berühren. Wenn ich aber spiele, dann kann ich aufnehmen, ich kann aussenden, ich kann helfen. Die Kraft kommt von innen, man kann sie nicht vermitteln......"
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Karnevalszeit zum Ende der 40er Jahre in Kölle: Daraus ein Song - mit einer Zeile hier bei der Radioübertragung notiert: "Mit uns ham se lang jenuch de Aap jemacht": Ich glaube, dass diese Verallgemeinerung gerade auch heute noch zutrifft, egal, wohin man schaut. Ob in den Medien oder in der Kirche, um nur zwei Bereiche zu nennen. Bei letzterer ist festzuhalten: In all den Punkten, auf die es - sehr gut anhand der Aussagen des Schamanen und Romanciers nachvollziehbar - ganz entscheidend ankommt, hat sie doch in erster Linie Versagen aufzuweisen. Und ganz, ganz viele Leerstellen. Insofern stimme ich dem Dictum von Karl Rahner - einem der Betreiber des Vaticanum II. - zu, in dem letztlich alles gipfelt und welches da lautet: "Der Christ zu der Zukunft wird ein Mystiker sein - oder er wird nicht mehr sein."


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