Sonntag, 3. Januar 2010

535 Der große Auftritt. Oder: Das Beeindrucktwerden und das Beeindruckenwollen als Crux des gesellschaftlichen Miteinanders.


















Gleich vorweg der Kernpunkt der ganzen Angelegenheit, zu dem im Weiteren hinführende Überlegungen angestellt werden sollen: Der "Homo sapiens" nimmt mit der Mehrzahl seiner Artgenossen die Umwelt zu wenig aus der Distanz heraus wahr. Er ist immer gleich involviert, lässt sich von allen möglichen Vorkommnissen, Erscheinungsbildern und Aussagen - um nur die wichtigsten Wahrnehmungselemente zu benennen - total beeindrucken, so, dass er kaum noch in der Lage ist, kritisch zu eben diesen Stellung zu nehmen. Und weil er den Eindruck hat, dass es nur der Eindruck ist, der ihm Ansehen in seiner Umwelt verschafft, ist es halt sein vorrangiges Bestreben, Eindruck zu machen, ein Imponiergehabe an den Tag zu legen. Mit allen fatalen Folgen, die daraus resultieren und ebenfalls im Weiteren angesprochen werden sollen - auch im Hinblick darauf, dass die, die meinen, sich zu Autoritäten aufwerfen zu können, denen die anderen sich zu unterwerfen haben, dies zumeist gar nicht sind.

Liest man die Einleitung des von der Autorin Johanna Di Blasi verfassten Artikels über die Schuhmode(n) und möchte ihn unter einem Schlagwort zusammenfassen, dann ist es das des "Schuhfetischismus". Dort hinzu passen die Kundinnen mit "ihren imaginär überhöhten Selbstbildern und Wünschen nach Selbst-Design." Man schaue einmal etwas mehr in den Text hinein, um all der Verheißungen gewahr zu werden, welche von den Käuferinnen und Käufern, die in Deutschland für einen jährlichen Umsatz von immerhin 6 Milliarden Euro sorgen, in dem Schuhwerk sehen, auf das sie scharf sind. Die Autorin spricht hier von Suchtmitteln mit Absätzen, Drogen mit Nieten und Riemchen.
Mit anderen Worten: Die Menschen sind weithin außerstande, sich den Kopf freizuhalten von all dem unnützen Zeugs, mit dem sie pausenlos zugedröhnt werden und ziehen es vor, die Lücken im Bewusstsein durch allen nur denkbaren Zinnober dadurch aufzufüllen, dass sie sich irgendeinen gerade angesagten Schmarrn reinziehen.

Sehr weit ging resp. geht diese Sucht bei der philippinischen Dikatorengattin Imelda Marcos. Die soll 1000 Paar Schuhe in ihrem Schrank gehabt haben. Zehnmal soviel besitzt nach eigenen Angaben der Popstar Mariah Carey. Mit ihren 40 000 Dollar Ausgaben für ihr Schuhwerk liegt die Hauptdarstellerin in der Fernsehserie "Sex and the City" nicht ganz in dieser Größenkategorie. Letztere soll es dann gewesen sein, die den "High Heels" durch die zahlreichen Nachahmereffekte zum Durchbruch verholfen haben. Ihr Resummee: " 'Ich habe meinen Körper beim Rennen und Tanzen mit den High Heels total zerstört. Meine Knie sind im Eimer."

Da wird also lustig in der Gegend herumgestöckelt - nur, weil man vermeint, damit seiner Umwelt imponieren zu sollen resp. zu müssen. "Für den Karrieresprung muss ein Stolperhaken her": so betitelt die Autorin in dem Sonderteil "Der 7. Tag" in einer über die zwei Folgeseiten hinweg laufenden Überschrift ihre weiteren, hier nur mit den wichtigsten Punkten herausgegriffenen Darlegungen. Dabei kommt die Sprache auf den amerikanischen Soziologen und Ökonomen Thorstein Veblen, der in seiner 1899 veröffentlichten "Theorie der feinen Leute" zu dem folgenden Ergebnis gelangt: "..die Mode folge zwei Gesetzen zur selben Zeit: dem der 'demonstrativen Verschwendung' und dem der 'demonstrativen Muße'. Luxuriöse Kleidung hätte zum einen die 'Aufgabe, die Zahlungsfähigkeit des Haushalts so deutlich als möglich zu bezeugen'. Und gerade der Stöckelschuh sei ein Beleg dafür, dass die Trägerin sich Muße leisten könne. 'Neben dem Glanz als Zeugnis erzwungener Muße weist der Damenschuh außerdem den sogenannten französischen Absatz auf, und dieser hohe Absatz gestaltet nun offensichtlich jede, auch die einfachste und notwendigste Arbeit äußerst schwierig'."

Die Autorin fährt fort: "Zu den Schwierigkeiten, heute Frau zu sein, gehört es, dass ausgerechnet das Symbol erzwungener Muße der weiblichen Oberschicht, die hübschen Fußfoltern und Stolperhaken, zum Attribut der Powerfrau geworden sind. Und man im Alltag damit herumturnen sollte, wenn man hochkommen möchte, jedenfalls in gewissen Branchen. Die amerikanische Komödie 'Der Teufel trägt Prada' aus dem Jahr 2006 mit Meryl Streeep und Anne Hathaway hat das Dilemma amüsant auf den Punkt gebracht."

Ohne nun weiter auf diesen Film einzugehen, sei nochmals bemerkt, dass Filmvorbilder eine ganz dominante Rolle bei der Bewusstseinsprägung breiterer Volksschichten spielen. Die dann vermeinen, sich "sündhaft teure Schuhikonen von Manolo Blahnik, Dior und Christian Louboutin [leisten zu müssen], obwohl man ohnehin nicht darin laufen kann und sie im Regal verstauben werden". Die Autorin kommt in diesem Zusammenhang auf den Philosophen Eckart Voland zu sprechen, der meint, "viele Schuhe zu erwerben ziele, wie das Sammeln überhaupt, nicht auf praktischen Nutzen, sondern belohne andere Interessen. Es gehe beispielsweise um Steigerung des Selbstbewusstseins und Prestige-Akkumulation, wobei sich die Motivationslagen völlig verselbständigen könnten."

Abschließend heißt es in dem, wie angedeutet, über drei Seiten laufenden Beitrag: "Modische Schuhe, solche, die als 'elegant' gelten und ihren Trägern Glamour verleihen, so könnte man zusammenfassend sagen, sind teuer, unbequem, und sie sind schön! Oder? Wenn die Mode tatsächlich schön und immer schöner würde, müsste sie allerdings irgendwann einen Zustand ästhetischer Vollkommenheit erreichen. Ist dem so?

Der scharfsinnige Gesellschaftsanalyst Thorstein Veblen behauptete das Gegenteil. Das Wesen des Modischen sei nicht seine Schönheit, sondern seine ausgesprochene Hässlichkeit. Veblen spricht vom 'ästhetischen Übelkeitsgefühl', das 'groteske und unerträgliche Formen' auslösten. 'Dass man die jeweils herrschende Mode für schön hält, verdankt sich teils der Erleichterung, die man empfindet, wenn die alte endlich von einer neuen Mode abgelöst wird, und teils dem Umstand, dass sie Prestige besitzt'."

Womit der Bogen hin zu dem eingangs Festgestellten geschlagen wäre: Alles und jedes, aber auch wirklich alles und jedes wird überwiegend - oder sogar ausschließlich - unter der Perspektive wahrgenommen, wieviel Prestige es transportiert. Kannst du dich deiner Umwelt nicht als jemand präsentieren, der sich dieses und jenes und schließlich auch noch das Hundertttausendste leisten kann, fällst du nicht auf, kannst keinen Eindruck schinden, bleibst das einfache Lieschen Müller, bist ein Nemo. Meine Holde ist da Gott sei Dank ganz anders gestrickt: Sie engagiert sich in sozialen Netzen wie dem DRK oder der Seniorengymnastik (als Leiterin), von daher dann auch die Bestätigung beziehend, auf die nun einmal jeder angewiesen ist. Sie trägt noch heute hin und wieder einen Mantel, den sie sich im Alter von 14 Jahren von selbstverdientem Geld hat kaufen können; Schuhe trägt sie solange, bis es nicht mehr geht, dabei dann höchstens ein 5. Paar den 4 übrigen hinzufügend.

Verquere Vorstellungen wie die zuvor angesprochenen sind es, die in sämtlichen Gazetten, Magazinen, Filmen, öffentlichen Statements und anderen Publikationsforen pausenlos gezüchtet werden - so, dass der normale Sterbliche darüber a) in zunehmende Finanzierungsnöte geraten kann, b) seine eigene intuitive Wahrnehmung, dass da doch etwas nicht stimmen könne, permanent zu unterdrücken sich gehalten sieht, c) in seinen Beziehungen zur natürlichen wie zur sozialen Umwelt total aus dem Tritt gerät, beide dann enorm beeinträchtigend, d) daraus folgend dann in seinem emotionalen Haushalt völlig durcheinandergebracht und verunsichert wird, und sich schlussendlich e) mehr und mehr als Opfer eines Verdummungsprozesses erfährt, der ihn unfähig macht, wahrzunehmen, dass dieser ganze Modefirlefanz einem ganz perfiden Konzept folgt: ihn erstens abhängig zu machen, ihn zweitens auszunehmen wie eine Weihnachtsgans, ihn drittens gar nicht merken zu lassen, welch bösartige Taktik in dem ganzen (Geschäfts-)Trubel verfolgt wird, und ihn viertens auch auf den anderen Bühnen des gesellschaftlichen Geschehens seiner gesunden Urteilskraft zu berauben.

Aus einer solchen Konditionierung, zum Teil wohl auch Erbanlage insoweit, dass der Mensch dazu neigt, immer wieder nur kurzschlüssig zu denken und seine Handlungen von den dabei gewonnenen Maximen abzuleiten, hat es sich auch ergeben - und hier schlage ich einen ganz weiten Bogen -, dass der gute Gott sich gezwungen sah, dem "Homo sapiens" immer wieder etwas vorzuführen, was Eindruck machte: die Wunder Jesu seien hier nur als Beispiel genannt. Dabei ist es gerade das unauffällig sein Wollende, das Leise und nicht Marktschreierische, das Zarte und sich nicht Aufdrängende, die Zurücknahme eigener Geltungsansprüche und noch vieles mehr, was in diese Richtung geht, was ihm eigentlich gemäß ist. Dank seines "freien Willens" - in Anführungszeichen gesetzt wegen der pausenlosen Versuche, ihn auszuschalten - ist der "Homo sapiens" (auch mit gutem Grund in Anführungszeichen gesetzt) an einen solchen Tiefpunkt seiner geistig-moralischen Kompetenz gelangt, dass der Schöpfer sich genötigt sah, korrigierend einzugreifen: das Kreuz, das Jesus auf sich genommen hat, ist nicht eines, mit dem eine Erbschuld abzutragen gewesen wäre, sondern eines, welches die Crux der Selbstversklavung von den Menschen nehmen sollte. Wer mag, kann dazu ja einmal das Büchlein des französischen Obdachlosenpriesters und Stiftungsgründers - wegen seines sozialen Engagements und seiner Bescheidenheit lanjährig der beliebteste Landmann unter der Franzosen Abbé Pierre "Mein Gott, warum?" aufschlagen. Mit dessen Ansicht ich konform gehe, dass in puncto Religion es dem Menschen an der gebotenen Vernunft fehlt - welche von interessierter Seite wiederum völlig zu Unrecht als Gegenpol von Glauben gezeichnet wird.

PS1: Wieder einmal hat sich für mich etwas so ergeben, dass es bestens in meinen Plan passt. Ich hatte nämlich vor, mich mit dem Problemkomplex der Steuerung des Gesellschaftsapparates über die Stellgrößen Beeindrucktwerden und Beeindruckenwollen gerade heute auszulassen - ohne dabei Material zu haben, anhand dessen sich die Gedanken hätten begleitend entwickeln lassen. Mit anderen Worten: ich wäre auf ein reines Extempore verwiesen gewesen. So aber war die Sache mit dem Aufschlagen der Sonnabendzeitung, in die ich erst heute hineinschauen konnte, gleich völlig klar.
PS2: Der folgende Erhellungsstrahl, der, im nachstehenden Foto festhalten, vor einiger Zeit auf den Ort Bredenbeck, Wohnstätte für uns seit über 30 Jahren, fiel, versinnbildlicht diesen Vorgang zumindest ansatzweise.

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