Freitag, 17. Mai 2013

2169 Ein Strafrechtsprofessor stellt im Interview mit Legal Tribune Online des Bundesministerium für Justiz (BMJ) an den Pranger, indem er auf dessen NS-Vergangenheit hinweist.

NS-Belastung des BMJ

"Stolze Rosenburger"

Interview mit Prof. Dr. Christoph Safferling
13.05.2013
AS (von dem Blogger als Analogon/Korrelat zum PS kreiertes AnteScriptum): Vor nicht allzulanger Zeit hat sich der dieses Interview in seine Nachrichten- und Kommentarsammlung einstellende Betreiber der Plattform morequalitiesinlife bei den LTO-Leuten als Interessent angemeldet, bis dato allerdings noch kaum in deren Nachrichten reingeschaut. 

Das wird jetzt wohl anders werden, dieweil sie ihm mit diesem Interview etwas geliefert haben, was all die kritischen Bemerkungen über dieses StaatsUNwesen bestätigt und unterstreicht, die er seit Anfang 2008 in seinem elektronischen Tagebuch hat unterbringen können. Sich noch in der Tradition der 68-er Generation sehend, wird ihm auch durch das folgende Interview deutlich, wie berechtigt die damals von den jungen Menschen vorgetragene Systemkritik war, und wie nötig und richtig es ist, gerade auch in dieser Hinsicht am Ball zu bleiben.
Die Rosenburg - bis 1973 Dienstsitz des BMJ in Bonn.
Eine Gruppe aus Juristen und Historikern erforscht derzeit die personellen Kontinuitäten im BMJ beim Übergang vom Dritten Reich zur Bundesrepublik. Der Strafrechtler Christoph Safferling, der das Projekt gemeinsam mit einem Zeithistoriker leitet, erzählt im LTO-Interview von der überraschend hohen NS-Belastung des BMJ noch bis in die 60er, Akten in Umzugskartons und dem Klüngel in der Rosenburg.
LTO: Mitte Mai veröffentlicht die Kommission einen ersten Tagungsband. Zu welchen Ergebnissen sind Sie bisher gekommen?
Safferling: Der Tagungsband ist eine Bestandsaufnahme der bisherigen Forschung. Für einige Beiträge hatten die Autoren allerdings schon einen Blick in die Akten geworfen, die bisher verschlossen waren. Was man danach auf jeden Fall sagen kann, ist, dass die NS-Belastung doch deutlich höher war als vermutet. Noch in den späten 60er Jahren hatten sämtliche Abteilungsleiter eine NS-Vergangenheit. Das war in dieser Dramatik nicht bekannt.
LTO: Hatten Sie mit solchen Überraschungen gerechnet?
Christoph Safferling, Bild: BMJ 
Safferling: Nicht unbedingt. Was wir unterschätzt hatten, war auch die Dauer der Belastung, das zog sich ja über zwei Jahrzehnte hin. Das erklärt sich daraus, dass eine juristische Karriere nun einmal eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Menschen wie Eduard Dreher, Jahrgang 1907, haben ja rein altersmäßig erst in den 60er Jahren so richtig Karriere machen können.

Interessant ist auch, dass in den frühen 50er Jahren, die Belastung noch geringer war. Man hat damals wohl auf Personen zurückgegriffen, die schon auf eine längere berufliche Tätigkeit in der Weimarer Republik zurückblicken konnten und sich daher weniger für die Durchsetzung des NS-Terrors instrumentalisieren ließen, die nicht darauf erpicht waren, im NS-Regime Karriere zu machen. Ihre Nachrücker kamen dagegen aus der Generation von Juristen, deren Berufseinstieg mit der Machtergreifung zusammenfiel. Viele von denen haben sich nicht nur mit dem NS-System arrangiert, sondern folgten im "vorausseilenden Gehorsam" einer Rechtsauslegung im Sinne der NS-Ideologie.

LTO: In welchen Akten haben Sie selbst schon gelesen?
Safferling: Als Strafrechtler habe ich mir die Abteilung II vorgeknöpft und mir zunächst die beiden prominentesten Figuren angeschaut. Das waren Eduard Dreher und Josef Schafheutle.
Letzterer war bereits im Reichsjustizministerium als Ministerialrat für Strafrecht zuständig, ist dann 1950 ins BMJ gekommen, war später ein paar Jahre Generalstaatsanwalt in Freiburg. 1954 wurde er Abteilungsleiter im BMJ.

Dreher war 1933 mit seiner Ausbildung fertig. Ist 1938 als Staatsanwalt in Dresden übernommen worden, hat sich 1940 ans Sondergericht nach Innsbruck versetzen lassen, wo er bis 1945 als Erster Staatsanwalt tätig war. Die NS-Ideologie hat er dort wirklich auch vertreten. Das sieht man an mehreren Beispielen, in denen er für Bagatelldelikte Todesstrafen verlangt hat. Nach dem Krieg wollte man ihn in Österreich nicht mehr haben, er ließ sich in Garmisch nieder. In einem Entnazifizierungsverfahren wurde er als Mitläufer eingestuft. Daraufhin ist er nach Stuttgart gegangen und hat versucht als Rechtsanwalt zu arbeiten, was ihm zunächst nicht gelang.

LTO: Wegen seiner Vergangenheit?
Safferling: Ja. Der Vorsitzende der Rechtsanwaltskammer wollte ihn nicht zulassen, weil Dreher als Staatsanwalt mit dem NS-System verwickelt gewesen war. Der LG-Präsident hat dann später aber anders entschieden.
Nach ein paar Jahren als Anwalt kam dann eine besondere Verbindung zustande, nämlich über Adolf Arndt, eigentlich ja der SPD-Kronjurist im Bundestag. Dieser empfahl Dreher 1950 dem Staatssekretär Walter Strauß im BMJ. Warum auch immer. Ich weiß noch nicht, woher diese Verbindung kam. Dreher wurde jedenfalls ins BMJ berufen und hat dort Karriere gemacht.
1958 sollte er BGH-Richter werden. Da ist ihm seine Vergangenheit dann aber tatsächlich dazwischen gekommen. Nachdem die Vorwürfe öffentlich geworden waren, ist die Idee, ihn zum BGH-Richter zu machen, eingeschlafen. Aber dann macht er eben im BMJ Karriere bis zum Unterabteilungsleiter. 1968 wirkte er mit am Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, was mittelbar zur Verjährung der NS-Gewalttaten führte durch eine spezifische Auslegung und Anwendung von § 50 Strafgesetzbuch a.F. Dafür ist er ja bekannt geworden.
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2/2:"Untersuchungen im BMJ in den 50ern nur hinter verschlossenen Türen"

LTO: Hat sich das BMJ vor dieser Kommission noch gar nicht mit dieser Vergangenheit befasst?
Safferling: In den 80ern gab es eine große Ausstellung über die Justiz und das NS-System, die das BMJ in Auftrag gegeben hatte. Das Problem ist, diese Ausstellung beschäftigt sich zwar mit Juristen, aber nicht spezifisch mit dem BMJ, aus welchen Gründen auch immer.
Die Vorwürfe, die in den 50er und 60er Jahren vor allem aus der DDR lancierte wurden, hat man im BMJ auch sehr ernst genommen. Es gab genaue Untersuchungen, die sich aber hinter verschlossenen Türen vollzogen. Das ist bei Personalangelegenheiten natürlich auch erst einmal legitim. Ich habe mittlerweile im Ruhestand befindliche Beamte dazu befragt, die glaubwürdig versichern konnten, dass sie davon nichts gewusst haben. Das war eine Frage der Personalabteilung und der Behördenleitung.
LTO: Gab es eine solche Untersuchung auch gegen Eduard Dreher?
Safferling: Ja, eine sehr intensive sogar. Es wurden Akten aus Österreich angefordert und man hat den Abteilungsleiter gebeten, rechtlich zu begutachten, ob Dreher ein Fehlverhalten vorzuwerfen ist.
Allerdings wurde dabei natürlich der Bock zum Gärtner gemacht. Der Abteilungsleiter war ja Schafheutle. Dass der zu dem Ergebnis kommen würde, Dreher habe sich gesetzeskonform verhalten, ihm sei keine Schuld vorzuwerfen, die Todesstrafen seien zwingende Rechtsfolgen gewesen – das überrascht natürlich nicht.

"Auch der Bundestag sollte sich mit seiner Geschichte befassen"

LTO: Mit welchem Ziel ist die Kommission angetreten?
Safferling: Wir wollen insbesondere die Zeit zwischen 1949 bis 1973 untersuchen, den Zeitraum in dem das Haus in der Rosenburg war. Das ist auch der Zeitraum mit der höchsten NS-Belastung. Dafür wollen wir den höheren Dienst insgesamt anschauen, also auch die Referentenebene.
Dabei müssen wir inhaltlich über die Statistik der NSDAP-Mitgliedschaften hinaus gehen. Denn diese sagt ja nicht unbedingt etwas über die wirkliche Einstellung aus. Wir müssen noch herausarbeiten, wie sich die einzelnen Personen etwa während der Strafrechtsreform positioniert haben. Haben die dazu beigetragen, dass sich das StGB, das ja der Kontrollrat bereits in gewisser Weise entnazifiziert hatte, weiter liberal und demokratisch entwickelt?
LTO: Können Sie dazu schon inhaltlich etwas sagen?
Safferling: Die allerersten Entwürfe des BMJ zum Staatsschutz-Strafrecht haben eine deutlich liberale Handschrift. Das war Anfang der 50er. Spätere Entwürfe sind weitaus konservativer. Ich habe den Eindruck, dass in den ersten Jahren vielleicht eine gewisse Euphorie über das Grundgesetz als neues demokratisches Legitimationsmodell und die Zukunft des deutschen Staates herrschte.
Ab 1954/1955 ist dann eine  Rückkehr zu der eingefahrenen Reichgerichtsrechtsprechung und der Gesetzgebung des Reichsjustizministeriums erkennbar. Natürlich immer formal unter Berufung auf die Gesetzgebung vor 1933, aber nicht durchgängig.
LTO: Und das könnte damit zu tun gehabt haben, dass schwer belastete NS-Juristen erst später leitende Funktionen im Ministerium innehatten?
Safferling: Das vermute ich. Andererseits muss man da auch den Bundestag tadeln. Die Gesetzesinitiativen aus dem BMJ sind von den Abgeordneten zerpflückt worden. Auch der Bundestag müsste sich daher mal seiner Vergangenheit stellen, wie es etwa der hessische Landtag vor kurzem getan hat.

"Akten liegen teilweise noch in Umzugskartons"

LTO: Haben Sie vollen Zugang zu allen Akten?
Safferling: Ja, die Mitarbeiter des BMJ sind sehr bemüht, alles zur Verfügung zu stellen. Manchmal sind die Sachen tatsächlich körperlich schwer zu finden. Die Personalakten liegen alle im Keller des BMJ. Das wurde beim Umzug alles mitgenommen und liegt teilweise tatsächlich noch in diesen Kartons. Man hätte sich auch vorstellen können, dass das Ministerium diese entsorgen lässt. Das hat es aber nicht getan.
LTO: Es ist also alles vollständig?
Safferling: Was ich bislang gesehen habe, macht nicht den Eindruck als würde etwas fehlen.
LTO: Wann soll die Kommission ihre Arbeit beendet haben?
Safferling: Mitte, Ende 2015.
LTO: Wie sind Sie zu der Kommission gekommen? Haben Sie schon vorher in dem Bereich geforscht?
Safferling: Ich bin Direktor des Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse an der Uni Marburg. Ich setze mich mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit also schon seit 2007 auseinander.
LTO: Die Kommission besteht aus einer Mischung von Juristen und Historikern?
Safferling: Ja, genau. Die Leitung hat mit mir der Zeithistoriker Manfred Görtemaker inne. Diese interdisziplinäre Besetzung ist übrigens einzigartig. Ob Auswärtiges Amt, Bundesnachrichtendienst oder Bundeskriminalamt – da haben immer nur Historiker geforscht. Für bestimmte Teilbereiche werden wir uns auch noch Experten aus dem Familien-, Gesellschafts- oder Verfassungsrecht dazu holen – wir sind eben keine reine "Historikerkommission".
LTO: Interviewen Sie neben der Lektüre von Akten auch Zeitzeugen?
Safferling: Das tun wir und das ist auch wichtig. Es hilft, ein Gefühl für die Atmosphäre zu bekommen, die in diesem Hause herrschte, in der Rosenburg, dem damaligen Bonner Sitz des BMJ.
LTO: Der Klüngel?
Safferling: Das ist in der Tat etwas, was einem jeder erzählt. Die ehemaligen Mitarbeiter behaupten alle mit Stolz von sich, sie seien "Rosenburger". Dann aber, wenn es um die NS-Belastung geht, dann kannten sie sich offensichtlich doch nicht so gut. Vielleicht haben die wirklich nicht über diese Dinge gesprochen, für die tägliche Arbeit muss man das ja auch nicht. Aber dass es da Gerüchte gegeben hat, hätte ich schon für wahrscheinlich gehalten.
LTO: Vielen Dank für das Gespräch.
Prof. Dr. Christoph Safferling ist Universitätsprofessor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Philipps-Universität Marburg. Er leitet dort das Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse.
Das Interview führte Claudia Kornmeier.
Weitere Informationen zur Arbeit der Kommission erhalten Sie unter www.uwk-bmj.de.
 
  1. Seite 1: Erfolgreiche Karrieren im BMJ trotz NS-Vergangenheit
  2. Seite 2: Der Klüngel in der Rosenburg

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