Freitag, 16. August 2013

2246 Auch für Martin Cross recht interessant - das Urteil des BVerfG zur Meinungsfreiheit. Welches beinhaltet, dass auch "überspitzte Polemik nicht zwangsläufig strafbar" ist und Behörden scharfe Kritik hinnehmen müssen.

BVerfG zur Meinungsfreiheit

Behörden müssen scharfe Kritik hinnehmen

09.08.2013
Maßnahmen des Staates ohne Furcht vor Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehört zum Kernbereich der Meinungsfreiheit. Auch überspitzte Polemik ist nicht zwangsläufig strafbar. Das stellte das BVerfG in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss fest und bekräftigte damit seine Grundsätze zur strafrechtlichen Würdigung von Meinungsäußerungen.
Eine Flüchtlingsorganisation hatte anlässlich des "Antirassismustags 2010" einem Rechtsamt sowie einer namentlich genannten Sachbearbeiterin einen im Internet veröffentlichten "Denkzettel für strukturellen und systeminternen Rassismus" "verliehen". Die Verfasser des "Denkzettels" warfen der Behörde vor, sie habe einem Flüchtling wider besseres Wissen unterstellt, Gehörlosigkeit vorzutäuschen, und absichtlich Fakten ignoriert, um eine Aufenthaltserlaubnis ablehnen zu können.
Sowohl das Amtsgericht (AG) Potsdam als auch das Potsdamer Landgericht (LG) hielten den "Denkzettel" für eine strafwürdige Schmähkritik. Das AG verurteilte die Verfasser wegen übler Nachrede: Die im "Denkzettel" aufgestellte Behauptung, die Sachbearbeiterin habe wissentlich Tatsachen verschwiegen, sei nicht erweislich wahr. Die Aktivisten hätten bei sorgfältiger Recherche erkennen können, dass der Sachbearbeiterin die ärztlichen Stellungnahmen zur Gehörlosigkeit des Flüchtlings nicht vorgelegen hatten und sie somit nicht absichtlich und bewusst Fakten ignoriert habe. Eine Berufung gegen das Strafurteil war vom LG wegen offensichtlicher Unbegründetheit nicht zur Entscheidung angenommen.

Polemische Zuspitzung von Kritik ist erlaubt

Die Dritte Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hielt dies für eine verfassungswidrige Verkürzung der Meinungsfreiheit. Bei der Beurteilung der Frage, ob es sich um eine Tatsachenbehauptung oder um eine grundrechtlich geschützte Meinungsäußerung handle, sei auch auf den Gesamtkontext der Äußerung abzustellen. Bei der angegriffenen Äußerung handle es sich dem Sinn und systematischen Kontext nach um eine das Hintergrundgeschehen zusammenfassend bewertende Stellungnahme. Es stehe gerade nicht eine strafwürdige Diffamierung der Sachbearbeiterin des Rechtsamts im Fokus der Äußerung.

Überdies sei von den Gerichten zu berücksichtigen, dass das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, zum Kernbereich der Meinungsfreiheit gehört. Dazu gehöre auch das Recht auf "polemische Zuspitzung" (Beschl. v. 24.07.2013, Az. 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13).
mbr/LTO-Redaktion
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